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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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ließ sich umarmen wie ein Sohn, der zu seiner Mutter zurückgekehrt war. Anschließend wich er ein wenig zurück, tastete mit der Hand nach dem leeren Gesicht und berührte es. Und dort, wo seine Fingerkuppen über die Haut glitten, verschwanden Falten, bildeten sich Augen, Nase und ein Mund. Ein menschliches Gesicht entstand, aber Eklund wusste, dass es keiner menschlichen Frau gehörte. In ihren großen braunen Augen sah er mehr Weisheit, als ein Mensch in tausend Jahren sammeln konnte – diese Augen hatten Dinge gesehen, die für ihn unvorstellbar blieben.
    »Du hast ihn zu mir gebracht, Eklund«, sagte die Frau mit einer Stimme weich wie Samt. »Dafür bin ich dir sehr dankbar.«
    Sie trat auf ihn zu, nicht mehr alt, sondern jung, in eine Aura reifer, ewiger Jugend gehüllt. Und sie umarmte ihn so, wie sie zuvor Raimon umarmt hatte, wie einen nach langer Zeit heimgekehrten Sohn.
    Eklund begriff, dass er am Ende eines Pfades angelangt war, den er seit fast hundert Jahren beschritt. Er stand nicht am Ende seines Lebens, wohl aber an dem des Lebenswegs, der ihm von dem Augenblick an bestimmt gewesen war, als er zum ersten Mal die Kraft des Elysiums berührt hatte. Ihre Kraft.
    »Wer bist du?«
    Hand in Hand standen sie nebeneinander, die Frau und der zum jungen Mann gewordene Raimon, wie Mutter und Sohn. Was sie in gewisser Weise auch waren.
    »Ich bin KiTamarani«, antwortete die Frau. »Raimon hat mich geweckt und mir das zurückgegeben, was mir fehlte.« Sie hob eine Hand zu ihrem Gesicht. »Ich kann wieder sehen und hören.«
    Agens: Aktivitätsentfaltung im Offensivum des Keims dauert an. Lokationsveränderung. Größte Dringlichkeit.
    »Ja«, sagte KiTamarani. »Ich weiß.« Sie streckte beide Hände dem Netz über den weißen Spindeltürmen des Agens entgegen, und sein Glühen wurde heller, zu einem Schimmern und Gleißen, in dem sich alles auflöste, das alles vereinnahmte…
    Weißes Licht umgab Eklund, und er begriff, Teil der Kraft zu sein, die das Elysium erfüllte und von ihr stammte, von der Konziliantin KiTamarani. So etwas wie Musik vibrierte durch ihn, und kaum formten seine Gedanken eine Frage, glitt ihm auch schon die Antwort entgegen. Er hörte die kosmischen Saiten, die noch immer im Ton der Schöpfung vibrierten und das Lied des Lebens sangen, das Lied des Sinns. Den Sinn seiner eigenen Existenz hatte er erfahren, seine Mission erfüllt, und diese Erkenntnis erfüllte ihn mit tiefer, transzendentaler Zufriedenheit. Von Anfang an war ihm klar gewesen, dass ein Übergeist existierte, den er sich als »Weltseele« vorgestellt hatte, und jetzt kannte er den Namen dieser Entität: KiTamarani. Im Lauf von Jahrmillionen hatte sie das Leben von Kerberos gestaltet, als ihr Botschafter und Helfer, eine Entwicklung, die schließlich in der Manifestation von Raimon kulminierte.
    Eklund begriff, dies war ein Neubeginn. Ein weiterer Weg lag vor ihm, viel länger als der erste, gesäumt von Wundern, und Eklund hatte auf ihm gerade den ersten Schritt getan.
     
     

40  Zeitsturz
     
Kerberos
17. April 421 SN
10:29 Uhr
     
    Valdorian wusste, dass man ihn benutzt hatte, und vielleicht war es der aus dieser Erkenntnis wachsende Zorn, der es ihm erlaubte, einen Teil seines Selbst vor der Sklaverei zu bewahren. Dieses letzte freie mentale Fragment musste sich verbergen, denn das »Spiel« wollte ihn ganz, wie ein hungriges Geschöpf, das nicht auf den letzten Bissen verzichtete. Es versteckte sich hinter servilen Gedanken und beobachtete, wartete auf eine Chance.
    Es beginnt, flüsterte eine Stimme, und Valdorian vermutete, dass sie Olkin gehörte. Doch hier, im Innern des Spiels, klang sie anders.
    Er gewann den Eindruck zu schweben, umgeben von undurchdringlicher Finsternis, und als er Ausschau hielt, bemerkte er Konturen im Schwarz, die Umrisse von Objekten: Stangen, gerade und krumm; Dreiecke, Quadrate und Rechtecke; Polygone. Farben gesellten sich den Formen hinzu, die Hauptfarben des Spektrums und zahlreiche Schattierungen. Das Fremde in Valdorians Bewusstsein dehnte sich aus, und plötzlich wusste er, worauf es ankam. Er setzte sich in Bewegung und begann damit, die geometrischen Formen miteinander zu verbinden. Wenn er nach ihnen griff, leuchteten bestimmte Stellen auf, die nach Anschlusspunkten bei anderen Formen verlangten.
    »Das ist einfach«, sagte der geistig gefesselte Valdorian mit einer Zufriedenheit, die das freie, versteckte Fragment nicht teilte – er kam sich fast wie ein Kind vor, das mit

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