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Kantaki 03 - Der Zeitkrieg

Kantaki 03 - Der Zeitkrieg

Titel: Kantaki 03 - Der Zeitkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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fünftausendfünfhunderteinundzwanzig.«
    Die Jahresangabe verblüffte Valdorian. Er hatte sich zum letzten Mal im Jahr 421 Seit Neubeginn in seiner Welt befunden.
    Hinter ihm raschelte etwas, und er erstarrte. Einige schreckliche Sekunden lang befürchtete er, dass es Olkin gelungen war, ihm hierher zu folgen, trotz der vielen Sprünge, doch die näselnde Stimme des Hominiden erklang nicht. Langsam drehte sich Valdorian um und bemerkte, dass die Tür zum anderen Zimmer offen stand. Dort ging plötzlich Licht an, und elektronische Systeme summten.
    Valdorian trug keinen Fetzen Kleidung am Leib und stand mit leeren Händen da, völlig hilflos. Der Datenservo hatte seinen Berechtigungskode akzeptiert, aber die Jahresangabe deutete darauf hin, dass sich diese Realität nicht unerheblich von der unterschied, aus der er kam.
    »Ich … habe etwas gehört«, ertönte eine schwache, brüchige Stimme.
    »Beruhigen Sie sich«, antwortete ein Servo.
    »Jemand … ist hier.«
    »Sie sind hier.«
    Die Sicherheitssysteme, dachte Valdorian. Sind sie aktiv? Haben sie mich bereits als Eindringling identifiziert? Andererseits: Er war Valdorian. Und die schwache, kraftlose Stimme …
    Langsam und leise ging er zur halb offenen Tür und spähte vorsichtig um die Ecke. Ein großes Bett stand in dem Schlafzimmer, an das sich Valdorian ebenfalls erinnerte, obwohl ihm sofort Unterschiede auffielen. Die Tapisserien an den Wänden und die zugezogenen Vorhänge zeigten fremde Muster, hinzu kamen mehrere medizinische Servi, die das Bett umgaben. Darin lag …
    Valdorian riss die Augen auf und glaubte, in einen Spiegel der Zeit zu sehen, der ihn mit einem schrecklichen Zerrbild von sich selbst verhöhnte. Die Gestalt im Bett, die sich halb aufgesetzt hatte und ebenfalls die Augen aufriss, war er selbst am Ende seines Lebens, der sterbende Greis, den er bei der letzten Begegnung mit Lidia in den lebenden Kristallen von Mirror gesehen hatte: das hohlwangige Gesicht eine zerklüftete Landschaft aus Falten und Runzeln, die Haut halb transparent, die Augen trüb und wässrig.
    Der junge Valdorian betrat das Schlafzimmer und näherte sich, setzte wie in Trance einen Fuß vor den anderen, während sein altes Selbst eine zitternde Hand hob und auf ihn zeigte.
    »Sie sind …«, brachte er mühsam hervor. »Du bist …«
    Einer der medizinischen Servi richtete einen Sensor auf den jungen Valdorian, sondierte kurz und wandte seine elektronische Aufmerksamkeit dann wieder dem Greis zu. Der Medo-Servo identifizierte den Neuankömmling offenbar als Valdorian, aber seine Künstliche Intelligenz war nicht hoch genug entwickelt, um zu erkennen, wie absurd die Präsenz verschiedener Valdorians war, der eine ein schwacher Greis, der andere kräftig und in seinen besten Jahren.
    Neben dem Bett blieb der junge Valdorian stehen und sah, dass mehrere dünne Kabel und Schläuche die medizinischen Servi mit dem Alten verbanden. Die zitternde Hand sank aufs Laken zurück, und Jung und Alt sahen sich an.
    »Wie ist das möglich?«, hauchte der Greis.
    »Wenn Sie sich nicht beruhigen, müssen wir Ihnen ein Sedativ verabreichen«, sagte einer der Servi.
    Der junge Valdorian gab ihm einen Tritt, und der Geräteblock stürzte um. Noch bevor er begriff, was er eigentlich tat, riss er die Kabel und Schläuche los und stieß den zweiten Medo-Servo gegen den dritten. Die Servi landeten krachend auf dem Boden, und dann herrschte gespenstische Stille. Der Greis sah stumm zu ihm auf, die Augen groß, der Mund geöffnet.
    Er verkörperte all das, was Valdorian hasste: Schwäche, das Ende, der Verlust all der Dinge, die ihm etwas bedeuteten. Sein altes Selbst symbolisierte die vielen Niederlagen, die er seit der Entscheidung erlitten hatte, Lidia zu suchen und sie um Hilfe zu bitten, um mehr Leben. Er war wie ein Finger des Spotts, der sich auf ihn richtete, begleitet von den Worten: Was auch immer du versuchst, wie sehr auch immer du dich bemühst, eines Tages wirst du auf diese Weise enden; du wirst so aussehen und sterben, dich im Nichts verlieren.
    Valdorians Hände schlossen sich um den Hals des Greises und drückten zu, während die geisterhafte Stille andauerte. Die Augen des alten Valdorian quollen aus den Höhlen, aber kein Laut kam über seine Lippen.
    Er tötete sich selbst, löschte die eigene Vergänglichkeit aus, seine Gebrechlichkeit, sein Versagen, triumphierte auf diese Weise über das Alter, das am Ende jedes Lebenswegs lauerte und dem er schon einmal entkommen

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