Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kantaki 03 - Der Zeitkrieg

Kantaki 03 - Der Zeitkrieg

Titel: Kantaki 03 - Der Zeitkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
etwa ebenso alt zu sein schien wie er. Sie war kleiner, als er sie in Erinnerung hatte, das Haar anders frisiert, und sie trug unauffällige Kleidung. Sie trat einige Schritte fort vom Wagen, blieb vor den Tischen stehen und sah sich um.
    Valdorian stellte erstaunt fest, dass sein Herz schneller schlug, als er sich aus dem Schatten löste. Die kleine Frau bemerkte ihn, aber ihr Blick glitt nur kurz über ihn hinweg, setzte die Suche fort. Nach einigen Sekunden kehrte er zurück, und im Gesicht der Frau veränderte sich etwas. Verblüffung erschien darin, und auch Erschrecken.
    »Ich bin es wirklich«, sagte Valdorian, als er vor ihr stand.
    »Aber …« Sie sah zu ihm auf, hob die Hand und strich ihm mit dem Zeigefinger über die Wange. »Du bist älter …«
    Valdorian deutete zum Wagen. »Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, Mutter. Aber zuvor müssen wir jemanden abholen und einen sicheren Ort aufsuchen.«
     
    Der »sichere Ort« war ein Apartment im dreizehnten Stock eines schlichten Hochhauses am Stadtrand von Bellavista, in dem vor allem Subalterne wohnten. Valdorians Mutter hatte es schon vor Jahren gemietet, unter falschem Namen. Hier wusste niemand, wer sie wirklich war. Viele Bilder hingen an den Wänden, von ihr selbst gemalt.
    Valdorian betrachtete sie nachdenklich. Ein zentrales Motiv wiederholte sich: die Darstellung von idyllischen Familienszenen inmitten unberührter Natur. Man brauchte kein ausgebildeter Psychologe zu sein, um den Wunsch dahinter zu erkennen.
    »Ich habe gar nicht gewusst, dass du gemalt hast«, sagte er und erkannte sofort die beiden Fehler in diesen Worten. Den ersten korrigierte er nicht – er duzte seine Mutter, womit er zwar die Magnatentradition verletzte, aber einem inneren Drang nachgab –, wohl aber den zweiten. »Ich meine, dass du malst.«
    »Du bist es wirklich, nicht wahr? Als ich die Nachricht empfing … Du warst nicht zu Hause, und die Worte … Ich erinnere mich an das Gespräch. Du hast nicht verstanden, was ich meinte. Was ist mit dir geschehen, Rungard? Und wer ist die Frau?«
    »Ich bin nicht der Rungard, für den du mich hältst, Mutter. Ich bin dein Sohn, aber ich komme aus einer anderen Zeit. Und die Frau …« Diamant befand sich im Hygieneraum des Apartments. »Es ist Lidia. Ich … glaube, ich habe dir von ihr erzählt«, fügte Valdorian hinzu und fand es peinlich, dass er sich nicht daran erinnerte.
    »Die Xenoarchäologie-Studentin?«
    »Ja.«
    »Aber sie ist mindestens fünfzig, in meinem Alter!«
    »Sie kommt aus der gleichen Zeit wie ich.« Valdorian betrachtete ein Bild, das sich von den anderen unterschied. Es war wesentlich abstrakter und düsterer, kündete von Angst und Zorn. Er betrachtete es einige Sekunden lang und fühlte sich an ein berühmtes Bild erinnert, an »Der Schrei« von Edvard Munch. Vielleicht kam es einem Fenster gleich, das Blick ins Unterbewusstsein seiner Mutter gewährte.
    Er drehte sich um und sah einen kleinen biometrischen Scanner auf sich gerichtet. Nein, dumm war seine Mutter nicht, und auch nicht so naiv, allein dem Erscheinungsbild zu vertrauen.
    »Es ist keine Maske«, sagte sie. »Du bist es tatsächlich.«
    »Ja.« Valdorian deutete zum Tisch im Wohnzimmer. »Es ist eine lange Geschichte. Lass uns Platz nehmen.« Und als sie saßen: »Weiß jemand, dass wir hier sind? Hast du jemandem von uns erzählt?«
    »Nein«, antwortete seine Mutter. »Ich habe mit niemandem gesprochen. Und diese Wohnung …« Sie lächelte zaghaft. »Niemand weiß davon. Sie ist meine kleine Zuflucht, ein Ort, an den ich mich zurückziehen kann.«
    »Ich verstehe.«
    Die kleine, schmächtige Frau beugte sich ein wenig vor, und in ihren Augen sah Valdorian freudige Überraschung. »Ja, ich glaube, du verstehst tatsächlich.«
    Er sah durch die breite Fensterfront nach draußen zu den Lichtern der Stadt. »Hier hat alles angefangen, und hier wird es enden, auf Tintiran, in dieser Stadt …« Er begann zu erzählen.
     
    »Es ist eine traurige Geschichte«, sagte Valdorians Mutter eine halbe Stunde später, nachdem sie sich alles angehört hatte. »Es bedeutet, dass du den gleichen Weg einschlägst wie dein Vater.«
    »Ich sitze hier, weil ich jenen Weg eingeschlagen habe«, erwiderte Valdorian und fühlte, dass er damit eine wichtige Wahrheit berührte. »Ich verstehe dich heute, weil ein vergeudetes Leben hinter mir liegt.«
    Diamant kam aus dem Hygieneraum, und Valdorian wölbte erstaunt die Brauen, als er sie sah – sie schien

Weitere Kostenlose Bücher