Kantaki 03 - Der Zeitkrieg
erfüllten. Die Höcker zahlloser Datenmodule ragten aus Boden, Decke und Wänden, und Agoron trat an ihnen vorbei in die Mitte des Raums, verband sich dort mit zwei biomechanischen Nervenbahnen und ließ sich von einem Ruhefeld erfassen, das ihn nach oben trug, ins Zentrum des Junktims.
Das Brennen der Veränderungen in ihm war nicht mehr ganz so stark, und es geriet noch weiter in den Hintergrund, als ihm erste Eindrücke entgegenströmten, wie Bilder aus Träumen, vage und doch vertraut. Ich bin jetzt auch der alleinige Hüter des Wissens meines Volkes, dachte er, nicht unbeeindruckt von dieser zusätzlichen Verantwortung.
Aber es gibt Lücken in diesem Wissen, flüsterte es in ihm. Das weißt du längst, nicht wahr?
Agoron erinnerte sich daran, beim Aufenthalt im Informationsjunktim von Äon so etwas gefühlt zu haben, Leere dort, wo eigentlich alles mit Daten gefüllt sein sollte, mit der Geschichte der Eternen seit dem Initialkonflikt und dem Erscheinen des Erhabenen.
Die Buckel der Datenmodule verschwanden vor Agorons Augen, als die mentale Verbindung hergestellt wurde, und Bilder umgaben ihn. Einmal mehr erlebte er die Geschichte seines Volkes entlang der Kausalitätsstränge, die über all die Äonen hinweg stabil und unversehrt geblieben waren. Myriaden Stimmen raunten von Ereignissen und Plänen, von individuellen Gedanken und Hoffnungen. Es fiel Agoron inzwischen nicht schwer, die Struktur in diesem vermeintlichen Chaos aus Informationen zu erkennen und sich zu orientieren. In die Vergangenheit fiel er, in die eine objektive Vergangenheit, tief im Ozean der Zeit verborgen, auf der Suche … wonach?
Die anderen Säkularen haben es nie erkannt, sagte die innere Stimme. All die Äonaren vor dir, die ihre relative Unsterblichkeit während der Epochen an den Tod verloren … Niemand von ihnen hat etwas geahnt. Niemand hat etwas gemerkt.
»Gemerkt?«, fragte Agoron, und seine Stimme hallte seltsam verzerrt und brüchig durchs Informationsjunktim. Und dann stellte er die Frage, die ihn schon die ganze Zeit über beschäftigte, die er aber nicht zu formulieren gewagt hatte, weil er die Antwort fürchtete. »Wer bist du?«
Eine Zeit lang herrschte Stille in seinem Inneren, und er hoffte schon, wieder Frieden gefunden und die beunruhigende Spaltung seines Selbst überwunden zu haben, doch dann kehrte das Flüstern zurück.
Ich bin du und doch viel mehr als du, lautete die rätselhafte Antwort. Du bist das Ende einer langen Kette. In dir erreichen die Veränderungen ihre Vollendung. Mit dir – mit uns – geht Tyragons Saat auf.
»Tyragons Saat?«
Neue Bilder schwebten Agoron entgegen, aus der fernsten Vergangenheit, aus der Zeit des Initialkonflikts unmittelbar nach dem Bruch. Und er sah den legendären Tyragon, einen der ersten Säkularen überhaupt, beobachtete ihn dabei, wie er seinen Schülern zeigte, dass die Kausalität keineswegs ehern war, wie die Philosophen und Mathematiker der Ahnen behauptet hatten.
Er sah als Erster – und als Einziger – die Wahrheit hinter der großen Täuschung.
Agoron fiel in einen Spalt zwischen zwei Bildern, und plötzlich umgab ihn Dunkelheit. Es strömten ihm keine Informationen mehr entgegen, und er dachte an die Möglichkeit eines Defekts im Informationsjunktim der Akida. Dann fiel ihm etwas anderes ein.
»Dies ist eine der Lücken im alten Wissen, nicht wahr?«
Weit vorn formten sich neue Bilder, aber Agoron merkte sofort, dass sie sich durch eine ganz andere Struktur auszeichneten.
Tyragon erkannte die Wahrheit und begriff, welche Gefahr ihm dadurch drohte. Er versteckte seine Erkenntnisse in den Informationen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden und schließlich zum alten Wissen der Eternen wurden. Und er stattete die erste und letzte Gebärende der Eternen mit dem Keim des Wandels aus, der in ferner Zukunft dazu führen sollte, dass ein Säkularer seine Botschaft im überlieferten Wissen erkannte. Tyragon war der Anfang, und du bist das Ende. Und gleichzeitig ein neuer Anfang.
»Wie lautet die Wahrheit?«, fragte Agoron, während er die fremden Bilder betrachtete, die ihn umgaben.
Die Stimme zögerte kurz.
Der Erhabene hat uns betrogen, flüsterte sie. Das alte Wissen, unsere Bestimmung … Alles Lügen. Wir sind missbraucht worden, von Anfang an.
Tausend Bilder erklärten Tyragons Erkenntnis und zerstörten Agorons Weltbild.
Während Agoron erfuhr, was es wirklich mit dem Bruch und dem Initialkonflikt der Eternen auf sich
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