Kantaki 06 - Feuerträume (Graken-Trilogie 3)
und für einen Sekundenbruchteil erkannte sie darin etwas, das ihr nicht gefiel. Dann wandte sich Kiwitt wieder der Wand zu, gurrte laut und sauste los, am acht Meter langen Projektionsfeld entlang. Seine Pfoten strichen dabei über die vielen mathematischen Zeichen und hinterließen lange rote Streifen.
Aus der perfekten Melodie wurde ein akustisches Chaos aus schrillen, dissonanten Tönen.
»Nein!«, rief Nevoth entsetzt und sank auf die Knie. » Nein! «
Kiwitt sprang empor, um auch Teile der Formel weiter oben zu erreichen, hinterließ dort ebenfalls rote Spuren. Tarweder rief ihn zu sich, aber das Geschöpf hörte nicht auf ihn und hielt erst inne, als die letzten heulenden Töne verklangen und einer Stille wichen, in der nur das leise Schluchzen des Realitätsmechanikers zu hören war. Und ein zufriedenes Gurren von Kiwitt.
Als er in Tarweders Rucksack zurückkehren wollte, packte ihn der Alte und hielt ihn mit beiden Händen auf Augenhöhe.
»Was ist nur in dich gefahren, kleiner Kerl?«, fragte er mehr verwundert als verärgert.
Nevoth kniete noch immer auf dem Boden und ließ den großen Kopf hängen. »Die Formel, die alles erklärt … Sie war vollständig.«
»Aber wie hat er es geschafft?«, fragte Dominique. Sie trat zu Tarweder und blickte auf den zappelnden Kiwitt. »Ich meine, er ist ein Tier, oder? Wie kann er die Fehler in der Formel gefunden und korrigiert haben?«
»Mein Lebenswerk, zerstört«, jammerte der Realitätsmechaniker.
Kiwitt erwiderte Dominiques Blick, und wieder bemerkte sie in seinen großen Augen etwas, das Unbehagen in ihr schuf. Dann gurrte er erneut, befreite sich aus dem Griff des Alten, huschte über Arm und Schulter und verschwand im Rucksack.
»Und warum hat er die Formel anschließend gelöscht?«, fragte Dominique. »Welchen Sinn hat das?« Aus irgendeinem Grund hatte sie plötzlich das Gefühl, dass die Zeit drängte. Sie ging zu Nevoth. »Findet das Tor in Zontra …«, sagte sie. »Wie lautet der Rest der Botschaft?«
Der Realitätsmechaniker stand langsam und mit einem leisen Ächzen auf. »Ich hatte es schon bereut, mich darauf eingelassen zu haben. Ein schlechtes Gewissen plagte mich. Aber jetzt …«
Er wankte zum Podium, legte die Hand dort auf ein Kontrollfeld und murmelte ein Wort, das Dominique nicht verstand.
Wellenförmige Bewegungen kamen in das Projektionsfeld mit der ruinierten Formel, als sich dahinter eine Tür öffnete. Eine Gestalt trat vor, und Dominique erkannte sie sofort.
Ein Dominanter.
Der Krieg: XVII
1. September 1210 ÄdeF
In der Umlaufbahn des Gasriesen Ramparan, sechster Planet des Kuala-Tuhal-Systems, gab es ein großes medizinisches Zentrum namens Velazko, in dem vor allem Kriegsverletzte behandelt wurden. Die meisten von ihnen kamen mit schnellen Kurierschiffen oder langsameren Transportern aus der nahen Transferschneise, die das Kuala-Tuhal-System mit den anderen Sonnensystemen des Dutzends verband. Das nach einem berühmten Mediker, der zu Beginn des Grakenkriegs Außergewöhnliches geleistet hatte, benannte Medo-Zentrum stattete die vielen Verwundeten mit Prothesen und, wenn es möglich war, bionischem Gewebe aus. Es gab aber auch eine Abteilung, die sich mit psychischen Leiden befasste, und in einem ihrer Räume blickte Markant Nektar in Augen, in denen eine ganz besondere Art von Angst flackerte. Es war die Angst davor, sich endgültig in einem Grakentraum zu verlieren, selbst hier, viele Lichtjahre von den nächsten Molochen entfernt.
»Kann er uns hören?«, fragte Nektar und musterte das eingefallene, hohlwangige Gesicht. Der etwa fünfzig Standardjahre alte Mann machte einen völlig ausgemergelten Eindruck. Er lag lang ausgestreckt auf einer Liege, starrte an die Decke und schien dort Dinge zu sehen, die allen anderen verborgen blieben.
»Vermutlich nicht. Aber bisher hat er immer auf die Stimulationen reagiert. Wenn Sie wünschen …« Mediker Granville hielt sich an den Kontrollen der nahen medizinischen Servi bereit.
»Warten Sie noch.« Nektar ging langsam um die Liege herum und betrachtete die Gestalt nachdenklich. »Können Sie ihn retten?«
»Wir versuchen es«, sagte Granville. Er zählte zu den Lobotomen, wie Serena. Die meisten Nektar bekannten Mediker waren Lobotome; vielleicht konnten sie den Belastungen anders nicht standhalten. »Eigentlich ist er bereits kontaminiert – er hat sich zu lange im Einflussbereich eines Grakentraums aufgehalten. Aber wir haben einige neue Verfahren
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