Kantaki 06 - Feuerträume (Graken-Trilogie 3)
Dominique sah Tarweder an. »Ich habe dir von ihm erzählt.«
»Du hast ihn ›kranker Gott‹ genannt.«
»Die Kantaki flohen damals hierher und fanden offenbar einen Weg zur Prävalenz. Wollten sie Olkin das Handwerk legen, seinen Manipulationen ein Ende bereiten? Aber wenn das ihre Absicht war … Sie scheinen nicht erfolgreich gewesen zu sein, oder?« Die letzten Worte richtete Dominique an Nevoth.
»Ich weiß nicht, was die Kantaki planten«, sagte der Realitätsmechaniker. »Ich weiß nur, dass sie das Fünfte Dominium von den anderen vier Dominien trennten, um sich vor den Dominanten zu schützen. Die seitdem nach einem Weg dorthin suchen.« Nevoth lachte leise, und es klang fast wie ein Meckern. »Der sich direkt vor ihrer Nase befindet. Aber er blieb ihnen verborgen. Obwohl sie Zontra mehrmals auf den Kopf gestellt haben.«
»In Zontra gibt es eine Möglichkeit, das Fünfte Dominium zu erreichen?«, fragte Dominique.
»So heißt es in der Botschaft. Als mir die Übersetzung gelungen war, habe ich mit den Ressourcenmachern über eine genauere Untersuchung der Brunnen gesprochen. Sie wollten die Funktionalität der Brunnen nicht aufs Spiel setzen und verweigerten mir die Genehmigung. Und bei den Brunnen der anderen Dominien sind mir kaum eingehende Analysen möglich, weil mir dazu die Zeit fehlt – als Residenter kann ich mich dort nur für kurze Zeit aufhalten.« Nevoth seufzte leise. »Irgendwie müssen die Dominanten von der Übersetzung erfahren haben, denn kurze Zeit später begannen sie mit der ersten gründlichen Suche in Zontra.«
Wieder erklangen Töne, wirr und disharmonisch.
»Wie lautete die Botschaft?«, fragte Dominique.
Der trübe Blick des Realitätsmechanikers richtete sich auf das Projektionsfeld über dem Kantaki-Artefakt. »Ich kenne sie auswendig. ›Diese Worte spricht Vater Mru, Sohn von Mutter Krir, deren Schiff einst von Diamant durch den Transraum gesteuert wurde: Wir, die Letzten eines großen Volkes, sind Opfer der unheiligen Allianz von Vergangenheit und Zukunft. Alt und Jung kämpften im Dritten Konflikt der Konzepte gegeneinander, ohne von der lenkenden Hand im Hintergrund zu wissen. So schwächten wir uns selbst vor der entscheidenden Auseinandersetzung, und schließlich blieb den Überlebenden nur die Flucht. Wir mussten uns schützen, denn wir sind die Letzten, und unser Ende wäre auch das Ende jeder Hoffnung. Aber solange wir uns schützen, bleibt der Weg zur Prävalenz versperrt. Wer diese Worte hört, vernehme auch die Bitte der letzten Kantaki: Helft uns. Helft uns, die Prävalenz zu erreichen, und in ihr den Kranken. Findet in Zontra das Tor, das sich wissenden Augen zeigt und ins Fünfte Dominium führt …‹«
Nevoth unterbrach sich, als weitere Töne erklangen und so etwas wie ein Zusammenhang zwischen ihnen hörbar wurde. Dominique achtete nicht darauf.
»Die unheilige Allianz von Vergangenheit und Zukunft«, sagte sie. »Was bedeutet das? Und der Kranke …?«
»Olkin?«, spekulierte Tarweder.
Die Luft im Zimmer mit dem alten Brunnen schien plötzlich nicht mehr leer zu sein. Etwas bewegte sich in ihr, ungreifbar wie Nebelschwaden, und die Töne wuchsen zu einer makellosen Melodie zusammen. Einige Sekunden lang lauschte Nevoth ihr hingerissen. Dann legte er das Kantaki-Artefakt beiseite – das Projektionsfeld erlosch sofort – und eilte verblüffend schnell davon.
»Die Formel!«, entfuhr es ihm, als er bereits den Flur erreicht hatte. »Die Formel ist vollständig!«
Sie kehrten zu dem Raum zurück, der eine Mischung aus Arbeitszimmer und Salon war. Kiwitt hockte dort vor der acht Meter langen Wand mit den zahllosen mathematischen Symbolen. Wo das kleine Geschöpf sie mit den Vorderpfoten berührte, erschienen neue Zeichen und wiesen mit leuchtendem Rot auf erfolgte Veränderungen hin. Dominique bemerkte mehrere rote Stellen.
Nevoth hastete an der Wand entlang, verharrte immer wieder und sah sich die roten Markierungen mit vor die Augen geklapptem Datenvisier an. »Mein Lebenswerk …«, brachte er hervor. »Die Weltformel. Die Beschreibung der gesamten, komplexen Realität … Endlich ist sie vollständig und korrekt. Hören Sie nur!«
Noch immer erklang die perfekte Melodie.
»Kiwitt?« Tarweder näherte sich dem leise gurrenden Geschöpf. »Wie hast du das fertig gebracht?«
Das Tier, die Vorderläufe noch immer wie Arme erhoben, drehte den Kopf und sah Tarweder aus seinen großen dunklen Augen an. Es richtete den Blick auch auf Dominique,
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