Kapitän Singleton
Baumstamm Ausschau zu halten, der sich zu einer Marsstenge eignete, da erblickten wir ein englisches Kriegsschiff mit sechsunddreißig Kanonen, das auf die Küste zuhielt. Wir waren darüber wirklich sehr bestürzt, weil wir so stark behindert waren; zu unserem großen Glück aber lagen wir dicht an den hohen Felsen, und so bemerkten uns die Leute auf dem Kriegsschiff nicht, sondern gingen wieder auf ablaufenden Kurs. So gaben wir nur acht, wohin es segelte, unterbrachen in der Nacht unsere Arbeit und beschlossen, in See zu stechen, wobei wir einen Kurs steuerten, der dem bei ihm beobachteten entgegengesetzt war, und dies hatte, wie sich herausstellte, den gewünschten Erfolg, denn wir bekamen das Schiff nicht mehr zu Gesicht. Wir hatten eine alte Kreuzmarsstenge an Bord, die uns für den Augenblick als behelfsmäßige Vormarsstenge diente, und so hielten wir auf die Insel Trinidad zu, wo wir, obgleich sich Spanier dort befanden, doch einige unserer Leute mit dem Boot an Land schickten; sie hieben eine sehr schöne Fichte zu einer neuen Marsstenge um, und wir brachten sie mit gutem Erfolg an. Wir fanden hier auch Vieh, um unsere Vorräte aufzubessern. Dann hielten wir Kriegsrat und beschlossen, diese Meere vorerst zu verlassen und die brasilianische Küste anzusteuern.
Zuerst befaßten wir uns nur damit, uns Trinkwasser zu beschaffen; wir erfuhren dort aber, daß die portugiesische Flotte im Golf von Todos los Santos lag, bereit, nach Lissabon auszusegeln, und nur auf günstigen Wind wartete. Dies veranlaßte uns, vor Anker liegenzubleiben, in dem Wunsch, sie in See stechen zu sehen und sie, je nachdem, ob die Schiffe mit Bedeckung segelten oder nicht, anzugreifen oder ihr auszuwe ichen.
Am Abend erhob sich ein stürmischer Wind von Westsüdwest, und da er für die portugiesische Flotte günstig und das Wetter angenehm und heiter war, hörten wir, daß das Signal gegeben wurde, die Anker zu lichten; wir liefen die Insel Si… an, geiten das Großsegel und das Focksegel auf, fierten die Marssegel aufs Eselshaupt und ge iten auch sie auf, damit wir so versteckt lagen wie nur möglich, während wir darauf warteten, daß die Schiffe aus dem Hafen kamen, und am nächsten Morgen sahen wir die ganze Flotte heraussegeln, jedoch gar nicht zu unserer Zufriedenheit, denn sie bestand aus sechsundzwanzig Einheiten, und zwar zumeist aus Schiffen, die sowohl schwer beladen als auch gut bestückt waren – Handels- und Kriegsschiffe. Da wir also sahen, daß wir uns nicht mit ihnen einlassen konnten, blieben wir dort, wo wir uns befanden, still liegen, bis die Flotte außer Sicht war, und standen dann auf und ab in der Hoffnung, eine andere Gelegenheit zum Raub zu finden.
Es dauerte auch nicht lange, bis wir ein Segel erspähten, und wir verfolgten es sogleich; das Schiff erwies sich jedoch als ausgezeichneter Segler. Es stand auf Auslaufkurs, und wir sahen deutlich, daß es sich auf seine Fähigkeit, Fersengeld zu geben, verließ, das heißt auf seine Segel. Unser Fahrzeug war jedoch gewandt, wir näherten uns dem anderen, wenn auch langsam, und hätten wir den Tag vor uns gehabt, dann hätten wir es ganz gewiß eingeholt; aber die Nacht brach zusehends herein, und wir wußten, daß wir es dann aus den Augen verlieren mußten.
Als unser fröhlicher Quäker gewahrte, daß wir das Schiff in der Dunkelheit weiter verfolgten, obwohl wir nicht zu sehen vermochten, wohin es fuhr, kam er ohne Umschweife zu mir. „Freund Singleton“, sagte er, „weißt du, was wir tun?“ Ich antwortete: „Gewiß, wieso denn – wir verfolgen das Schiff dort drüben, oder etwa nicht?“ – „Und woher weißt du das?“ fragte er ganz ernst und ruhig. „Freilich, es stimmt“, sagte ich, „sicher können wir nicht sein.“ – „Ja, Freund“, erwiderte er, „ich glaube, wir können sicher sein, daß wir vor ihm davonfahren, anstatt es zu verfolgen. Ich fürchte“, setzte er hinzu, „du bist zum Quäker geworden und hast beschlossen, keine Gewalt anzuwenden, oder du bist ein Feigling und fliehst vor dem Feind.“
„Was willst du damit sagen?“ fragte ich (ich glaube, ich beschimpfte ihn). „Worüber höhnst du jetzt? Immer versetzt du uns irgendeinen Hieb.“
„Nein“, sagte er, „es ist doch offensichtlich, daß das Schiff von der Küste fort genau nach Osten gelaufen ist, nur um uns abzuschütteln, und du kannst gewiß sein, daß es dort nichts zu suchen hat, denn was soll es auf diesem Breitengrad an der Küste von Afrika, so weit
Weitere Kostenlose Bücher