Kapitän Singleton
südlich wie Kongo oder Angola? Sobald es dunkel wird und wir es aus den Augen verloren haben, wird es über Stag gehen und wieder zur brasilianischen Küste hin und auf den Golf zuhalten, wohin es zuerst segelte, wie du weißt. Laufen wir ihm also nicht davon? Ich lebe in großer Hoffnung, Freund“, sagte dieser trockene, spöttische Kerl, „daß du zum Quäker wirst, denn ich sehe, daß du nicht für den Kampf bist.“
„Also gut, William“, sagte ich, „dann werde ich einen ausgezeichneten Piraten abgeben.“ William hatte jedoch recht. Ich begriff sogleich, was er wollte, und auch Kapitän Wilmot, der sehr krank in seiner Kajüte lag, hörte uns und verstand ihn ebensogut wie ich. Er rief mir zu, William irre sich nicht, und das beste sei, wenn wir unseren Kurs änderten und auf den Golf zuhielten, wo es zehn zu eins stehe, daß wir das Schiff am Morgen schnappten. So wendeten wir also, holten unsere Backbordtaue ein, setzten die Bramstagsegel und fuhren eilends zum Golf von Todos los Santos, wo wir am frühen Morgen vor Anker gingen, genau außerhalb der Schußweite des Forts; wir rollten die Segel mit Taugarn zusammen, damit wir die Schoten beiholen konnten, ohne, um sie locker zu machen, hinaufzuentern, ließen unsere Großrah und unsere Fockrah hinab, und nun hatte es den Anschein, als lägen wir schon eine ganze Weile dort.
Zwei Stunden darauf sahen wir unser Wild mit vollen Segeln auf den Golf zuhalten, und völlig unschuldig begab es sich sozusagen geradenwegs in unseren Rachen, denn wir lage n still, bis wir es fast in Kanonenschußweite hatten; da unser vorderes Gut längsschiffs gespannt war, zogen wir zuerst die Rahen hoch und holten dann die Topsegelschoten dicht, wobei das Kabelgarn, mit denen sie aufgerollt waren, von selbst nachgab. Die Segel waren in wenigen Minuten gesetzt; gleichzeitig warfen wir unsere Ankertrosse los und waren neben dem Schiff, bevor es halsen und davonfahren konnte. Die Mannschaft war so überrascht, daß sie keinen oder nur wenig Widerstand leistete, sondern nach der ersten Breitseite die Segel strich.
Als wir überlegten, was wir mit dem Schiff machen sollten, kam William zu mir. „Hör mal, Freund“, sagte er, „du hast jetzt wahrhaftig ein schönes Stück Arbeit geleistet, dir das Schiff deines Nachbarn gleich hier vor dessen Tür auszuborgen und ihn nicht einmal um Erlaubnis zu bitten! Glaubst du nicht, daß dort im Hafen ein paar Kriegsschiffe liegen? Du hast sie genügend in Alarm versetzt, und du kannst dich darauf verlassen, daß du sie, bevor es Abend wird, auf dem Hals hast, weil sie dich fragen wollen, weshalb du das tatest.“
„Gewiß, William“, antwortete ich. „Es mag durchaus sein, daß du recht hast. Was sollen wir also als nächstes tun?“ Da sagte er: „Du kannst nur zwei Dinge tun: entweder in den Hafen einlaufen und alle übrigen Schiffe kapern oder aber verschwinden, bevor sie herauskommen und dich kapern, denn ich sehe, daß die Leute auf dem großen Schiff dort drüben eine Marsstenge setzen, um gleich in See zu stechen, und es wird nicht mehr lange dauern, bis sie herkommen, um sich mit dir zu unterhalten. Und was wirst du ihnen dann antworten, wenn sie dich fragen, warum du dir ohne Erlaubnis ihr Schiff ausgeborgt hast?“
Es war so, wie William sagte. Wir konnten durch unsere Gläser beobachten, daß sie sich sehr damit beeilten, einige dort liegende Schaluppen sowie auch ein großes Kriegsschiff zu bemannen und klarzumachen, und es war offensichtlich, daß sie bald hier sein würden. Wir wußten jedoch, was wir tun mußten; wir stellten fest, daß das von uns aufgebrachte Schiff nichts geladen hatte, was für unsere Zwecke von Bedeutung war, außer etwas Kakao, Zucker und zwanzig Fässer Mehl; die übrige Ladung bestand aus Häuten, und so nahmen wir uns alles, was uns nützlich schien, darunter auch die gesamte Schiffsmunition, Kanonenkugeln und Handwaffen, und danach ließen wir es frei. Wir nahmen auch eine zu dem Schiff gehörende Kabeltrosse und drei Anker, die uns dienlich waren, sowie einige seiner Segel. Es blieben ihm genügend, um es in den Hafen zu führen, mehr aber nicht.
Nachdem wir dies getan hatten, behielten wir den Kurs nach Süden längs der brasilianischen Küste bei, bis wir zur Mündung des Janeiro kamen. Da wir aber zwei Tage lang heftigen Wind aus Südost und Südsüdost hatten, waren wir gezwungen, bei einer kleinen Insel vo r Anker zu gehen und dort auf günstigeren Wind zu warten. Während dieser Zeit
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