Kapitän Singleton
wir, obwohl sich mehrere englische Kaufleute in der Stadt aufhielten, doch selbst keinerlei Bekanntschaft mit ihnen oder wechselten auch nur ein Wort mit einem von ihnen; dadurch verhinderten wir, daß sie sich nach uns erkundigten oder Nachricht über uns weitergaben, falls irgendwie ruchbar werden sollte, daß wir hier gelandet waren; das war durchaus möglich, wie wir uns leicht ausrechnen konnten, wenn einer unserer Kameraden in schlechte Hände fiel, oder aber durch allerlei Zwischenfälle, die wir nicht voraussehen konnten.
Während unseres Aufenthalts an diesem Ort, in dem wir fast zwei Monate lang blieben, begann ich mir über meine Lage viele Gedanken zu machen – nicht was die Gefahr betraf, denn es gab keine für uns, da wir völlig verborgen lebten und keinerlei Verdacht weckten, sondern ich begann tatsächlich anders über mich selbst und über die Welt zu denken als jemals zuvor.
William hatte mein sorgloses Gemüt tief getroffen, als er mir andeutete, es gebe jenseits von all dem noch etwas anderes; wohl sei die gegenwärtige Zeit die des Genießens, aber die der Rechenschaftslegung nähere sich, und die Arbeit, die zu tun blieb, sei eine sanfter geartete als die vergangene, nämlich die Reue, und es sei höchste Zeit, an sie zu denken. Diese und ähnliche Gedanken also füllten meine Stunden aus, und mit einem Wort: Mich erfaßte eine große Traurigkeit.
Was meinen Reichtum betraf, der ungeheuer groß war, so empfand ich ihn wie den Sand unter meinen Füßen; ich maß ihm keinen Wert bei, empfand keinen Frieden bei dem 337
Gedanken, ihn zu besitzen, und keine große Sorge bei der Vorstellung, ihn aufgeben zu müssen.
William hatte bemerkt, daß mich seit einiger Zeit düstere Gedanken heimsuchten und ich schwermütig und bedrückt war, und eines Tages, bei einem unserer Spaziergänge in der Abendkühle, begann ich mit ihm darüber zu sprechen, daß wir unseren Besitz aufgeben sollten. William war ein weiser und vorsichtiger Mann, und tatsächlich beruhte die ganze Klugheit meines Verhaltens schon lange auf seinem Rat; so lagen jetzt alle Maßnahmen, die dazu dienten, unser Eigentum und sogar unser Leben zu bewahren, in seiner Hand, und er berichtete mir eben über einige Vorkehrungen, die er für unsere Heimreise und zur Sicherung unseres Reichtums getroffen hatte, als ich ihn jäh unterbrach.
„William, glaubst du eigentlich, daß wir mit dieser ganzen Ladung, die wir bei uns haben, Europa erreichen werden?“
„Gewiß doch“, sagte William, „zweifellos ebenso wie andere Kaufleute mit ihren Waren, solange nicht öffentlich bekannt wird, wie viele es sind und welchen Wert sie haben.“
„Wieso, William?“ erwiderte ich lächelnd. „Glaubst du etwa, daß, wenn es über uns einen Gott gibt, wie du mir so lange schon versicherst, und wir vor ihm Rechenschaft ablegen müssen – glaubst du also, daß er uns, wenn er ein gerechter Richter ist, so mit dem Diebesgut, wie wir es ja nennen können, das wir so vielen unschuldigen Menschen, ja ich kann sogar sagen, Völkern, geraubt haben, davonkommen lassen und nicht Rechenschaft von uns fordern wird, bevor wir nach Europa gelangen, wo wir es genießen wollen?“
William schien diese Frage zu überraschen und zu verblüffen, und er antwortete lange nicht darauf. Ich wiederholte sie und setzte hinzu, das sei nicht zu erwarten.
Nach einer kleinen Pause sagte William: „Du hast da ein gewichtiges Thema berührt, und ich kann keine eindeutige Antwort darauf geben. Ich will aber zunächst folgendes 338
feststellen: Freilich trifft es zu, daß wir in Anbetracht von Gottes Gerechtigkeit keinen Grund haben, irgendwelche n Schutz zu erwarten; da aber die üblichen Wege der Vorsehung außerhalb der gewöhnlichen Wege menschlicher Angelege nheiten liegen, können wir trotz alledem auf Gnade hoffen, wenn wir bereuen, denn wir wissen nicht, wie gütig er sich uns erweisen wird; deshalb müssen wir handeln, als verließen wir uns eher auf diese, ich meine auf seine Gnade, als auf das, was jene verheißt, die nur Verurteilung und Rache zur Folge haben kann.“
„Aber so hört doch, William“, sagte ich, „zur Reue gehört Besserung, wie du mir einmal angedeutet hast, und wir werden uns niemals bessern können. Wie können wir dann also bereuen?“
„Warum können wir uns denn niemals bessern?“ fragte William.
„Weil wir das, was wir durch Gewalttätigkeit und Raub genommen haben, nicht zurückerstatten können“, sagte ich.
„Das stimmt“,
Weitere Kostenlose Bücher