Kapital: Roman (German Edition)
ganzes Leben widmen oder es sich von ihm diktieren lassen. Rogers neues Motto war: Nur Besitz ist nicht genug. Seit einigen Monaten schon war es sein sehnlichster Wunsch, dassArabella in den Spiegel schauen und ihr klar werden würde, dass sie sich verändern musste. Er wünschte sich das noch viel mehr, als er es sich wünschte, dass seine Vorgesetzten bei Pinker Llyod öffentlich gedemütigt würden, dass Mark ins Gefängnis ging, und dass er selbst den Jackpot im Lotto gewann. Sie konnte so nicht weitermachen.
Aber es war nicht geschehen. Arabella ließ keine Anzeichen dafür erkennen, dass sie es begriffen hatte. Im Gegenteil, sie schien fest entschlossen zu sein, für immer und ewig genau so weiterzumachen. Es gab keinen Plan B. Alles drehte sich ausschließlich um Marken, Logos und deutlich zur Schau getragenen Konsum. Dass sie sich jetzt die ganze Zeit um die Kinder kümmern musste, schien alles nur noch schlimmer gemacht zu haben. Während ihr Bedürfnis nach Labels, Ferien und Verwöhnmomenten zuvor simple Habgier gewesen war, wirkte es nun schon fast wie verzweifelte Sehnsucht. Es war Roger unbegreiflich, wie ein Mensch, den er so gut kannte, gleichzeitig ein so ungreifbarer, unergründlicher Fremder sein konnte. Er wusste nicht genau, ob sie immer schon so gewesen war oder ob es daran lag, dass er einen Weg eingeschlagen hatte und sie einen ganz anderen. Was auch immer der Grund für diese Entwicklung war, sie war durchaus real. Er musste immer mehr feststellen, dass er ihre Oberflächlichkeit als niederschmetternd empfand und ihren Materialismus als ermüdend und erstickend. Er hatte in der Finanzwelt gearbeitet, inmitten der schlimmsten Materialisten, die es auf diesem Planeten gab – und er war mit einer Frau verheiratet, die sie alle darin übertraf.
In der Zwischenzeit war Roger im Erdgeschoss angekommen. Doch zunächst ging er noch weiter hinunter, in das Spielzimmer der Kinder. Wenn er ein Hund wäre und eine superempfindliche Nase hätte, dann hätte er jetzt vielleicht noch einen letzten Hauch von Matya aufschnappen können, den Duft ihres Parfüms, ihrer Haare, den Geruch, den sie an sich hatte, wenn sie mit den Jungs von draußen hereinkam, wenn sie nach Kälte roch, nach Winter,nach frischer Luft, nach Freiheit, nach dem Leben anderer … Roger war nicht oft hierhergekommen, als sie noch bei ihnen gearbeitet hatte, er hatte Angst davor, sich nicht beherrschen zu können. Jetzt war auch das nur ein leeres Zimmer.
Er ging wieder zurück ins Erdgeschoss. Das letzte Mal in seinem Leben, dass er im Wohnzimmer stehen, das letzte Mal, dass er das Licht in der Küche ein- und ausschalten, das letzte Mal, dass er im Esszimmer die Arme in die Höhe recken und sich im Kreis drehen würde, sein letzter Blick in den Garten, sein letzter Aufenthalt im Flur, das letzte Mal, dass er die Haustür hinter sich zufallen lassen und abschließen würde. Man sagt immer, das Beste, was man tun kann, ist, so schnell wie möglich wegzugehen und nicht zurückzuschauen. Stattdessen lehnte er nun einen Moment lang seinen Kopf gegen die Tür. Die letzten wenigen Sekunden des körperlichen Kontakts mit der größten, teuersten und bedeutungsvollsten Sache, die er in seinem Leben je besessen hatte.
Er hatte das Auto direkt vor der Haustür geparkt. Er stieg ein, ließ den Motor an und lenkte den Wagen auf die Pepys Road. Dann hielt er an. Er drehte
sich um und starrte auf die Tür, die nun nicht mehr länger seine Haustür war. Zeit, um Abschied zu nehmen. Roger hatte mit Absicht nichts über die neuen
Eigentümer erfahren wollen. An dem ersten Nachmittag, als sie das Haus besichtigt hatten, war er zufällig gerade nicht da, und beim zweiten Mal war er
bewusst vorher weggegangen, weil er all diese Zeitverschwender, Idioten, Träumer und Nichtsnutze, die kamen, Angebote machten und dann wieder in der
Versenkung verschwanden, gründlich satt hatte. Aber diese Leute meinten es ernst, sie zahlten mit barer Münze, und ihr Angebot belief sich auf den vollen
Preis. Das Angebot wurde angenommen und der Kaufvertrag abgeschlossen, alles ohne dass Roger auch nur das Geringste über sie wusste oder wissen
wollte. Jetzt, da er einen letzten Blick auf das Haus warf, erlaubte er sich für einen kurzen Moment die Frage, wer sie wohl sein mochten. Dann fuhr er
weiter. Am Ende derStraße drehte er sich noch einmal um und erhaschte einen letzten Blick auf seine ehemalige Haustür, und während er
das tat, war das Einzige,
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