Kapitalismus Forever
»Schuldenlast für unsere (oft nicht vorhandenen) Kinder«. Andererseits findet dieser Trieb keine Befriedigung mehr im Glück über die Kartoffeln und die Kohlen im Keller. Darum sind sie so empfänglich für die Reklame, die Dorothy Sayers zufolge nach dem Motto funktioniert: »Spare, um zu kaufen, kaufe, um zu sparen«.
Die Zeit des Tagelöhners ist vorbei. Für den war es natürlich, sich keine Sorgen um die Zukunft zu machen. 200 Jahre Kapitalismus haben dazu geführt, dass es für die Menschen natürlich geworden ist, sich immer Sorgen um die Zukunft zu machen. Auch der moderne Tagelöhner, der sogenannte »Prekäre«, tut es. Die Natur des Menschen hat sich verändert. Und das Bedürfnis nach Sicherheit schmiedet sie fester ans Kapital als jede andere Fessel. Als Marx damals schrieb, die Proletarier hätten nichts zu verlieren als ihre Ketten, hatte er nicht die Möglichkeit bedacht, dass es vielleicht gerade die Ketten werden könnten, die ein Proletarier auf keinen Fall verlieren will.
Wenn das Bedürfnis nach Sicherheit natürlich geworden ist, dann ist jede Revolution ebenso natürlich ausgeschlossen. Denn wenn sie eines mit Sicherheit bringt, dann die Unsicherheit. Sicherheit aber ist eine Fiktion. Morgen kann mir ein Dachziegel auf den Kopf fallen, oder ich kriege einen Herzinfarkt, und dann nützt mir die Lebensversicherung und die Rente auch nichts.
Wo kommt der Kapitalismus her?
Ist das nun etwa doch Kritik am Kapitalismus geworden? Damit gebe ich mich nicht mehr ab. Kritik am Kapitalismus ist, wie wenn die Maus dem Elefanten auf den Fuß tritt. Der Maus mag es Befriedigung verschaffen, sie kann vor anderen Mäusen damit angeben, der Elefant merkt davon nichts.
Aber deshalb hört man nicht plötzlich mit dem Denken auf, wenn man es gewohnt ist. Das kann man gar nicht. Man macht genau das, was die Hamsterer von gebrauchten Joghurtbechern machen. Man macht weiter. Die mit dem Sammeln. Man selbst mit dem Denken. Sinnlos ist beides. Aber auch ein sinnloser Tag hat 24 Stunden. Und gerade weil die Denkerei so sinnlos, also praktisch unbedeutend ist, kann man sich auch sinnfreie Spekulationen leisten.
Der Kapitalismus ging beispielsweise mit einem rasanten Bevölkerungswachstum einher. »Aus 23 Millionen Menschen im Jahr 1816, gezählt auf dem späteren Reichsgebiet, waren bis 1914 fast dreimal so viele geworden, nämlich 67 Millionen«, hatte ich mal ermittelt. Im gleichen Zeitraum haben die Europäer durch Auswanderung noch die halbe Welt gefüllt. Das schaffen heute nicht mal Chinesen und Inder. Also Kapitalismus = sprunghaftes Wachstum der Bevölkerung.
Doch jetzt kommt die spannende Frage: Was ist Ursache, was ist Wirkung? Für den Marxisten sind die Prioritäten klar, Schuld hat immer das Kapital. Wie aber, wenn der Kapitalismus nur das Derivat von übermächtigen Populationsgesetzen wäre? Wenn man die Hypothese aufstellen würde, dass eine bestimmt Bevölkerungsdichte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Kapitalismus produziert?
Über diese Populationsgesetzte wird man niemals etwas Genaues in Erfahrung bringen, ebenso wenig wie über den Klimawandel, weil die Beobachtungszeiträume, um valide Daten zu erheben, jedes menschliche Maß um Dimensionen übersteigen. Aber zu existieren scheinen sie. Populationen, Zivilisationen und Imperien sind entstanden und wieder verschwunden. Das ist so. Warum? Keiner weiß es. Hingegen weiß man wieder, dass die Durchschnittsgröße einer Bevölkerung, gemessen von Scheitel bis zur Sohle, schwankt. Die Menschen werden länger, dann schrumpfen sie wieder, werden wieder länger etc. Und keiner weiß, warum.
Es geht um die Frage, wer eigentlich am längeren Hebel sitzt, die Menschen mit ihren Schnapsideen, von denen eine der Kapitalismus ist, oder am Ende eben doch die Natur. Schließlich ist der Mensch selbst ein Stück Natur, er ist ein Naturprodukt, in der Fabrik gemacht wurde bislang noch keiner.
Und am natürlichsten verhält er sich, wenn er genau das tut, was den »Naturschützern« überhaupt nicht gefällt. Ein Heuschreckenschwarm verschwendet auch keinen Gedanken an »Nachhaltigkeit«, also daran, dass auf dem Landstrich, den er gerade ratzekahl frisst, auf absehbare Zeit nichts Essbares mehr wächst. Die Karnickel in Australien vereinbarten keine Ein-Kind-Politik, weil sie keine Fressfeinde hatten, sondern sie mühten sich, den Kontinent in eine einzige Karnickel-Kolonie zu verwandeln. Und niemand kann bestreiten, dass Heuschrecken und
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