Kaputt in El Paso
Hand. Das Jetzt, als Solís im Begriff stand, einen der seltenen Fehler in seinem Leben zu begehen, schien mir die bessere Alternative zu sein.
Ich saß direkt hinter ihm. Vermutlich dachte er, ich hätte mich – besänftigt durch unseren philosophischen Diskurs – inzwischen damit abgefunden, zu sterben como un hombre. Doch weit gefehlt. Ich hob die zusammengebundenen Arme, warf mich nach vorn, gegen den Sitz, und legte sie ihm wie eine Schlinge um den Hals. Ein kurzer, scharfer Ruck und Solís ließ das Lenkrad los. Er versuchte sich zu befreien, krallte sich in meine Hände. Um mehr Druck ausüben zu können, stemmte er sich mit den Füßen gegen das Bodenblech. Dabei setzte er einen Fuß auf das Gaspedal. Der mächtige V8-Motor röhrte los.
Als wir auf das Wasser zufuhren, hatte der Wagen ungefähr achtzig Sachen drauf, doch niemand lenkte ihn. Ich sah noch einen verzweifelt mit der Taschenlampe winkenden Victor, danach lag er auf der Motorhaube, das Gesicht gegen die gesprungene Windschutzscheibe gepresst, die Augen angesichts des eigenen Todes weit aufgerissen, dann war er verschwunden. Unsere Fahrt endete im Tiefen, dort, wo die Straße weggespült worden war, in einem Winkel, der den Wagen zwang, sich auf die Seite zu legen. Irgendwie kam ich von Solís frei und versuchte, mein Seitenfenster zu öffnen. Doch der Motor war abgesoffen und die Elektronik für die Fensterheber außer Funktion.
Es war stockfinster. Das Auto drehte sich träge im Strom, schabte über den Grund des neu entstandenen Flusses und allmählich füllte sich der Innenraum mit Wasser. Noch lag ich mit dem Rücken an die Tür gepresst, doch dann kippte der Wagen ein zweites Mal zur Seite und ich fand mich auf der Decke des Innenraumes wieder, unter Wasser.
Hustend kam ich an die Oberfläche. Es waren vielleicht noch dreißig Zentimeter freier Raum vorhanden, Tendenz stark fallend. Ich atmete mehrere Male tief ein, tauchte unter und legte mich auf den Rücken.
»Sei explosiv, Mann«, hatte Ray Fuentes mal zu mir gesagt. Er hatte mich unterstützen wollen, als ich mir vorgenommen hatte, aus der Kniebeuge zweihundertsiebzig zu stemmen. »Beweg dich, als ob du die beschissene Hantel durchs Dach katapultieren willst.« Diesen Ratschlag im Ohr, rammte ich mit aller Kraft meine Füße gegen das Seitenfenster.
Es reichte nicht, um das Fenster genügend zu beschädigen. Also musste ich ein weiteres Mal hoch, um Luft zu holen – jetzt erwarteten mich noch um die zehn Zentimeter freier Raum. Wieder atmete ich mehrere Male tief ein und aus, dann machte ich mich an die Arbeit. Zwei weitere Tritte und das Fenster war vollständig zertrümmert.
Ich tauchte ein letztes Mal zum Atmen auf, doch der Innenraum war vollständig geflutet. In Bauchlage schlängelte ich mich durch das Fenster, die Zähne zusammengebissen, um dem selbstmörderischen Verlangen meiner Lungen zu trotzen. Schließlich ertasteten meine Füße den matschigen Boden des Flussbettes und ich konnte auftauchen in die Dunkelheit.
Mit dem Gesicht nach oben ließ ich mich in seichtes Wasser treiben. Als sich meine Absätze in den Schlamm bohrten, lag ich wie ein gestrandeter Wal auf einem sumpfigen Feld. Es kostete mich ungefähr eine Stunde, das Klebeband an meinen Handgelenken durchzubeißen, aber lediglich eine Minute, meine Knöchel zu befreien.
Keine Spur von Victor. Solís war im Wagen, davon war ich felsenfest überzeugt. Wahrscheinlich hatte ich ihm die Luftröhre zerquetscht, bevor er überhaupt die Chance gehabt hatte, zu ertrinken. Es gab keinen Hinweis auf den Lincoln, ich sah nur den Fluss, die Wüste und den Regen.
Ich gönnte mir ein paar Minuten Pause, bevor ich mich auf den Weg Richtung Norden machte.
Fünfundvierzig
»Noch Kaffee?« Güero stand in Bademantel und Pyjama vor mir. Es war mitten in der Nacht.
Ich nickte und er goss nach. Xochi, seine Frau, machte mir in der Mikrowelle eine Chicken mole mit schwarzen Bohnen und Maistortillas warm – Reste ihres Abendessens. Xochi, eine Kurzform von Xochimilco, ist Indianerin und stammt aus Chiapas. Ich hatte sie noch nie getroffen. Eigentlich wusste ich gar nicht, dass Güero verheiratet war. Xochi spricht kein Englisch und auch ihr Spanisch ist nicht sonderlich gut. Sie spricht einen Dialekt des Nahuatl, einer weit verbreiteten indianischen Sprache. Sie ist dunkel und sehr hübsch. Ihre Haut hat die Farbe von Kaffee mit einem Schuss Sahne, ihre wohlgeformte Nase – die Nase der Maya – ist markant. Xochi
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