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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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sie, »macht das zwei fünfzig. Ich nehme Dollar, keine Pesos.« Dabei klatschte sie mit der Handfläche ihrer knubbeligen, rosafarbenen Hand auf die Theke. »Aber während der Eröffnungswoche ist der erste Drink gratis.«
    Sie lächelte angesichts meiner Fassungslosigkeit. Doch zunächst wischte ich den Salzrand vom Glas und nahm einen Schluck. Dann fragte ich: »Was meinen Sie mit Eröffnungswoche?«
    »Das, was damit gemeint ist.«
    »Dieser Drink ist fade«, sagte ich. Schwach, sauer, schlichtweg daneben.
    »Neue Geschäftspolitik. Ein Kurzer pro Drink, kein großzügiges Nachschenken. Keine Doppelten mehr für die guten alten Jungs. Das ist Geschichte.«
    »Was heißt neue Geschäftspolitik?«
    »Neue Geschäftspolitik heißt neue Geschäftspolitik. Das erklärt sich von selbst, denke ich.«
    Ich dachte: Mein Gott, Güero, in welcher Irrenanstalt hast du die bloß aufgegabelt? Mann, was hast du dir dabei gedacht? Das haben wir nicht verdient! Eine Tresenkraft, die Drinks quasi per Nachnahme liefert, die entweder schwerhörig oder aufsässig ist, die fünf Minuten braucht, um alles zusammenzuschütten, dabei versaut, was nur irgend geht, und das Ganze als neue Geschäftspolitik verkauft und irgendwas von Eröffnungswoche faselt. Ich musste ein ernstes Wort mit ihm reden.
    Ich fischte die Limonenspalten aus dem Glas, legte sie auf eine Papierserviette und verschanzte mich so gut wie möglich hinter meiner Zeitung, nur um eine Barriere zwischen mir und dieser Barkeeperin der neuen Geschäftspolitik zu schaffen.
    Auf Seite 2 starrte mich Fernando Solís Davila an. Es war ein Gruppenfoto: Bürgermeister, drei Abgeordnete der Stadt, Solís lächelnd in der Mitte. Das bescheidene Lächeln eines Mannes, der gebeten wurde, die Position des Führers der freien Welt zu übernehmen. Eine Baufirma, die ihm gehörte, die Inter-America Builders, Inc., hatte gerade von der Stadt den Zuschlag bekommen, eine mehrgeschossige Strafanstalt niedriger Sicherheitsstufe für nicht gewaltbereite Drogenstraftäter zu errichten.
    Beinahe hätte ich mich an meinem Drink verschluckt und ihn über den Tresen gespuckt.
    Das alte städtische Gefängnis, so der Artikel weiter, sei rettungslos überfüllt mit gelegentlichen Drogenkonsumenten, Kleinstdealern und durch den Rio watenden Kurieren, die jedoch nie mehr als ein paar Päckchen Marihuana schmuggelten, das in Tarahumara Country, gelegen in den Chihuahuan Highlands, angebaut werde. Mitunter befänden sich die Straftäter zu sechst in einer Zelle, unter unzumutbaren hygienischen Bedingungen. Viele der so Weggeschlossenen zögen sich Krankheiten zu, angefangen bei relativ harmlosen Infektionen wie Bindehautentzündung und Krätze, bis hin zu Lungenentzündung, Angina und den verschiedenen Formen der Hepatitis. Selbst Fälle medikamentenresistenter TBC seien aktenkundig. Über Jahre hinweg seien die Bedingungen in der städtischen Haftanstalt Gegenstand der Kritik diverser Menschenrechtsorganisationen gewesen. Jetzt wolle die Stadt endlich handeln. Die Einrichtung solle nördlich der Stadt auf einem Tafelberg entstehen und nach Fertigstellung etwa hundert Arbeitsplätze bieten. Die Skizze des Architekten zeigte einen Knast, der aussah wie ein Holiday Inn hinter Stacheldraht.
    Ich fing an zu lachen. Es schwang eine Spur Hysterie mit. Die Barkeeperin kam herüber. »Was ist denn los? Lesen Sie gerade die Comics?«, fragte sie. »Zeigen Sie mal, ich will auch lachen.«
    »Die ganze Zeitung ist ein Comic«, sagte ich.
    El jefe, ein Drahtzieher unter den narcotraficantes und Drogengeld-Broker, errichtete ein Gefängnis für Drogenkonsumenten, Dealer und Schmuggler. Jetzt wieherte ich richtig los. In gewisser Weise war es ökonomisch betrachtet der Hammer: Das Drogengeld kam nach Hause. Was könnte mehr im öffentlichen Interesse sein?
    »Was denn nun?« Die Barkeeperin ließ nicht locker. »Nun zeigen Sie schon. Ich könnte einen guten Lacher gebrauchen.« Sie hatte soeben ihre neue Geschäftspolitik einem der Stammgäste vorgetragen, der sich hartnäckig weigerte, die Sache zu verstehen.
    Lachend ging ich Richtung Ausgang.
    »Schauen Sie mal wieder im Piccadilly on the Rio vorbei und beglücken Sie uns mit Ihrem erfrischenden Humor, ja?«, rief sie mir hinterher.
    Mir blieb das Lachen im Halse stecken.
    »Piccadilly, was?«
    »Das ist der neue Name. Als ich den Laden gekauft habe, habe ich entschieden, dass wir neben der neuen Geschäftspolitik auch einen neuen Namen brauchen. Hat doch wesentlich

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