Karambolage
Mörderin!
Er fühlte sich mit einem Male merkwürdig, wollte etwas sagen, konnte es aber nicht. Noch einmal hörte er Leopolds warnende Stimme am Telefon von vorhin, lief in Sekundenbruchteilen das Ende seines Gespräches mit ihm wie auf einem Tonband in seinem Inneren ab:
»Wo bist du jetzt?«
»Sei nicht so unfreundlich. Es war ganz schön anstrengend, mit den Leuten vom Billardklub einen Nachmittag lang beisammen zu sein. Ich muss mich ein wenig davon erholen.«
»Hast du nicht gehört? Wo bist du?«
»Wenn du es genau wissen willst: Ich mache gerade einen Spaziergang an der frischen Luft.«
»Du gehst doch hoffentlich nach Hause?«
»Nach Hause? Unter die Bettdecke? Jetzt hör einmal zu, was ich dir sage, Leopold. Ich habe getan, worum du mich gebeten hast und damit den schönsten Teil vom Sonntag verschissen. Ich habe dabei einige Dinge herausgefunden, aber sie scheinen dich ohnehin nicht sonderlich zu interessieren. Schön! Jetzt tue ich, was ich will, und du wirst mich nicht daran hindern, dazu bist du viel zu weit weg. Ich muss das wegen Maria gestern abklären.«
»Bist du verrückt? Lass diese Frau endlich in Ruhe, Thomas. Sie ist mit Ingrid …«
»Genau das muss ich abklären. Und zwar mit Ingrid selbst. Ich schaue noch einen Sprung bei ihr vorbei.«
»Bist du denn wahnsinnig, Thomas? Ingrid Grabner ist mit ziemlicher Sicherheit unsere gesuchte Mörderin.«
»Ist sie das? Interessant. Weißt du, dass Olga Fellner dasselbe von Maria behauptet hat? Dass sie unter Umständen Fellner umgebracht hat? Irgendwie könnte es schon bald jeder gewesen sein. Trotzdem: Ich bitte dich, mir den Abend nicht mehr weiter zu vermiesen. Ingrid ist zwar mitunter ganz schön lästig und schwer zu durchschauen, aber Mörderin ist sie keine, dazu habe ich als Lehrer Menschenkenntnis genug. So, und jetzt tschüss bis morgen, ich möchte nicht mehr gestört werden.«
Leopold hatte also recht gehabt. Um … Gottes …wi… willen! Den Whis… key … nicht … tri…in…k…
Die Gedanken in Korbers Kopf zersetzten sich, bis sie zu kleinen schwarzen Punkten geworden waren, die mit einem leicht pfeifenden Geräusch vor seinen Augen herumtanzten und sich zu nichts Sinnvollem mehr zusammensetzen ließen. Er fiel in Ohnmacht.
*
Juriceks Nummer. Leopold wählte sie automatisch, obwohl er wusste, dass der Oberinspektor aller Wahrscheinlichkeit nach noch im Konzertsaal saß. Er sollte recht behalten. Derzeit nicht erreichbar, hörte er. Dvo ř ák und Smetana zur Pflege der slawischen Seele.
Eine Hoffnung blieb Leopold noch. Aber als er die Stimme am anderen Ende der Leitung hörte, sank sein Herz in die Hose.
»Polizeikommissariat Floridsdorf, Mordkommission, Bollek.«
Bollek. Von allen Möglichkeiten die schlimmste.
»Hier Hofer, Leopold W.«
Kurz blieb es ruhig. Bollek schien nachzudenken. Schließlich kam ein grantiges: »Soll das ein Witz sein?«
»Nein, Herr Inspektor Bollek, keineswegs«, sagte Leopold verzweifelt. »Ich weiß so gut wie sicher, wer Fellner und Seidl umgebracht hat, und wir müssen schnell handeln.«
Wieder war es kurz still, dann: »Wissen Sie, was heute für ein Tag ist?«
»Sonntag«, gab Leopold missmutig von sich.
»Genau, Sonntag. Und es ist Strafe genug, ihn hier in meinem stickigen Büro verbringen zu müssen. Da brauche ich nicht auch noch Ihre obergescheiten Meldungen. Wenn sich Ihr Schulfreund das von Ihnen gefallen lässt, bitte. Ich nicht.«
»Hören Sie zu! Die Mörderin heißt Ingrid Grabner. Man muss feststellen, wo sie wohnt, und sie sofort verhaften.«
»Wollen Sie mir Befehle erteilen, Herr Kaffeehausober? Bei unseren Ermittlungen in diesem Fall scheint keine Ingrid Grabner als Verdächtige auf. Also lassen Sie mich bitte mit Ihrer blühenden Fantasie zufrieden.«
»Ich kann Ihnen zwar jetzt nicht erklären, wie ich draufgekommen bin, aber sie ist Fellners uneheliche Tochter«, flehte Leopold. »Sie hat’s getan, und es ist gerade ein weiteres Menschenleben in Gefahr. Mein Freund Thomas Korber …«
»Wissen Sie was, mein lieber Herr mit der Initiale«, unterbrach Bollek ihn unwirsch. »Ich lege jetzt auf, und in Zukunft denken Sie bitte nach, ob ein Sonntag um diese Stunde der richtige Zeitpunkt ist, sich wichtig zu machen. Gute Nacht!«
Leopold wollte noch etwas sagen, aber es machte nur ›klick‹, und die Leitung war tot.
13
Was sollte sie mit der Leiche anfangen? Das heißt, umbringen musste sie ihn zuerst ja noch. Aber wie?
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