Karibische Affaire
Gesichtspräparate: »Sehr groß ist die Auswahl nicht – na ja, in dem Alter hat man’s noch nicht nötig, und ihre Haut ist von Natur aus gut.«
»Sie sehen eine Frau wohl mit ganz anderen Augen an«, sagte Miss Marple lächelnd.
»Jawohl. Wissen Sie, das liegt an meinen verschiedenen Berufen, so was ändert die Einstellung.«
»Sie kennen sich bei chemischen Präparaten aus?«
»O ja, ich hab’ viel damit gearbeitet. Meiner Meinung nach gibt es ja viel zu viele davon. Nichts als Beruhigungs- und Aufmunterungspillen, Wunderdrogen und sonstiges Zeug. Wenn sie rezeptpflichtig sind, geht es ja noch, aber die meisten davon sind frei im Handel – was unter Umständen gefährlich werden kann.«
»Das glaub’ ich«, sagte Miss Marple. »Ja, das glaube ich gern!«
»Diese Mittel beeinflussen sogar das Verhalten, wissen Sie. Vieles an dieser Teenagerhysterie hat seinen Grund nur darin, dass die Bengel solches Zeug einnehmen, was Neues ist das ja nicht, das war immer schon so. Ich war zwar noch nicht dort, aber drüben in Ostasien ist schon alles mögliche passiert. Sie würden staunen, was alles die Frauen dort ihren Männern gegeben haben! Zum Beispiel in Indien, in der guten alten Zeit! Da weiß ich von einem Fall, wo eine junge Frau einen alten Mann geheiratet hat. Wahrscheinlich wollte sie ihn gar nicht loswerden, weil sie dann mit ihm auf den Scheiterhaufen gekommen wäre. Aber sie hat ihn unter Drogen gehalten, ihn nahezu schwachsinnig gemacht, sodass er schließlich Halluzinationen bekam.« Er schüttelte den Kopf. »Na, und derlei Gemeinheiten mehr!« Er fuhr fort: »Oder die Sache mit den Hexen, wissen Sie. Da gibt es eine Menge interessanter Dinge! Warum, glauben Sie, haben die immer so bereitwillig zugegeben, Hexen gewesen und auf dem Besenstiel zum Blocksberg geritten zu sein?«
»Wegen der Folter«, sagte Miss Marple.
»Nicht immer«, widersprach Jackson. »Schon, die Folter ist ein starkes Argument, aber viele Geständnisse kamen ganz ohne sie zu Stande, und die Leute bildeten sich noch was drauf ein! Sie haben Salben verwendet, Einreibungen, wissen Sie, verschiedene Präparate wie Belladonna, Atropin und so weiter. Davon bekommt man Schwebe-, ja, Fluggefühle, und die armen Teufel haben das für Wirklichkeit gehalten. Oder nehmen Sie die Assassinen – das war im Mittelalter irgendwo in Syrien oder im Libanon drüben. Die aßen indischen Hanf und hatten davon Paradiesvisionen mit Huris und allem Drum und Dran. Dann hat man ihnen erzählt, genau das erwarte sie nach dem Tod, wenn sie religiöse Morde aufzuweisen hätten. Man kann das auch wissenschaftlicher sagen, aber im Grund läuft’s auf dasselbe hinaus.«
»Im Grund liegt alles an der Leichtgläubigkeit der Menschen«, sagte Miss Marple.
»Nun, ja, man kann es auch so nennen.«
»Die Leute glauben so leicht, was man ihnen erzählt«, sagte Miss Marple. »Ja, wirklich, wir alle neigen dazu.« Und rasch fügte sie an: »Woher haben Sie diese Geschichten über Indien? Wer hat Ihnen von diesem Stechapfelgift erzählt – Major Palgrave vielleicht!?«
Jackson sah verdutzt drein. »Ja, das hab’ ich von ihm. Er hat mir eine Menge solcher Geschichten erzählt. Vieles davon muss lange vor seiner Zeit geschehen sein, aber er wusste über alles Bescheid.«
»Major Palgrave war von seinem Wissen sehr eingenommen«, sagte Miss Marple. »Und doch hatte er häufig Unrecht.« Nachdenklich schüttelte sie den Kopf. »Major Palgrave ist an vielem schuld«, sagte sie.
Ein leichtes Geräusch aus dem benachbarten Schlafzimmer ließ sie den Kopf wenden. Rasch ging sie hinüber. In der Balkontür stand Lucky Dyson.
»Ich – oh! Ich dachte, Sie seien nicht da, Miss Marple!«
»Ich war nur eben ein wenig im Badezimmer«, sagte Miss Marple mit viktorianischer Würde.
Jackson im Badezimmer musste grinsen. Viktorianische Wohlanständigkeit amüsierte ihn stets.
»Ich hab’ mir gedacht, Sie würden froh sein, abgelöst zu werden«, sagte Lucky, indem sie zum Bett hinüberblickte. »Sie schläft jetzt, nicht wahr?«
»Ja, ich glaube«, sagte Miss Marple. »Aber lassen Sie nur und gehen Sie ruhig, um sich zu unterhalten, meine Liebe! Ich dachte, Sie seien mit auf den Ausflug gegangen?«
»Ich wollte ja auch«, sagte Lucky. »Aber dann hab’ ich so starke Kopfschmerzen bekommen, dass ich absagen musste. Und da hab’ ich gemeint, ich könnte mich ebenso gut hier nützlich machen.«
»Das ist wirklich nett von Ihnen«, sagte Miss Marple, setzte sich wieder
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