Karibische Affaire
verändert – über alle Maßen verändert!«
»Ich höre, sie leidet unter schlechten Träumen?«
»Ja, ja, sie hat darüber geklagt.«
»Seit wann hat sie das?«
»Oh, ich weiß nicht recht. Vielleicht – seit einem Monat? Vielleicht schon länger? Anfangs haben wir geglaubt, es seien einfach nur Albträume, wissen Sie?«
»Ja, ja, das ist mir schon klar. Aber viel ernster ist, dass sie sich anscheinend vor jemandem gefürchtet hat. Sagte sie in dieser Hinsicht etwas zu Ihnen?«
»Nun ja, manchmal hat sie gesagt, dass – dass Leute hinter ihr her seien.«
»Dass man ihr nachspioniert?«
»Ja, einmal hat sie den Ausdruck verwendet. Sie habe Feinde, sagte sie, und die seien ihr hierher gefolgt.«
»Hatte sie Feinde, Mr Kendal?«
»Keine Rede davon!«
»Hat es vor Ihrer Heirat etwas gegeben, in England?«
»Nein, nein, nichts dergleichen! Dass sie sich mit ihrer Familie nicht vertragen hat, war das einzige. Ihre Mutter war etwas exzentrisch, es war schwierig, mit ihr auszukommen. Aber… «
»Gab es Anzeichen von geistiger Labilität in der Familie?«
Impulsiv öffnete Tim den Mund, schloss ihn aber wieder, wobei er den Füllfederhalter auf dem Tisch zurechtrückte.
Dr. Graham sagte:
»Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass diese Frage sehr wesentlich ist. Sie sollten mir eine Antwort darauf nicht vorenthalten.«
»Nun, ich glaube, es war nichts Ernstes. Es hat da irgendeine Tante gegeben, die ein bisschen überspannt war. Aber so was findet sich ja fast in jeder Familie.«
»Ja, ja, das stimmt schon. Ich will Ihnen diesbezüglich auch keine Angst machen, aber es könnte auf eine Tendenz hinweisen, zu – nun, unter Druck zu versagen oder sich alles mögliche einzubilden.«
»Ich kann Ihnen da wirklich nicht viel sagen«, meinte Tim. »Schließlich breiten die Leute ihre Familiengeheimnisse nicht vor einem aus.«
»Das ist richtig. Aber hatte sie früher keinen Freund, war sie vorher nicht mit jemandem verlobt, der ihr Eifersuchtsszenen gemacht oder sie gar bedroht hat? Irgendwas von dieser Art?«
»Keine Ahnung, aber ich glaube nicht. Molly ist wohl verlobt gewesen, bevor ich sie kennen lernte, und soviel ich weiß, war ihre Familie dagegen; aber ich glaube, Molly hielt an dem Mann mehr aus Opposition fest.« Er unterdrückte ein Grinsen. »Sie wissen ja, Doktor, wenn man jung ist! Je mehr Aufhebens davon gemacht wird, desto fester hält man zusammen, wer immer es auch sei.«
Auch Dr. Graham musste lächeln. »Ja, das erlebt man oft. Man sollte an den Bekanntschaften seiner Kinder nie herumnörgeln. Gewöhnlich gibt sich alles ganz von selbst. Und dieser Mann hat Molly nicht in irgendeiner Weise bedroht?«
»Nein, da bin ich ganz sicher. Sie hätte mir es sonst gesagt. Es war eine Jugendtorheit, wie sie selbst zugibt. Er hatte keinen sehr guten Ruf, und das wirkte anziehend auf sie.«
»Na ja, das klingt nicht sehr ernst. Aber da ist noch etwas anderes: Ihre Frau leidet offenbar an etwas, das sie als Gedächtnislücken beschreibt. Kurze Zeitspannen, an die sie sich nicht erinnern kann. Haben Sie das gewusst, Tim?«
»Nein«, sagte Tim langsam. »Nein, das nicht, das hat sie mir nie gesagt. Aber jetzt, weil Sie es erwähnen, fällt mir ein, dass sie manchmal irgendwie unklar scheint und…« Er dachte nach. »Ja – das würde es erklären. Ich hab’ nämlich nie verstehen können, dass sie manchmal die einfachsten Dinge vergessen zu haben schien oder nicht wusste, welche Tageszeit gerade war. Ich hab’ das für Zerstreutheit gehalten, für Geistesabwesenheit.«
»Darauf läuft es auch hinaus, Tim! Ich rate Ihnen dringend, mit Ihrer Frau einen guten Spezialisten aufzusuchen!«
Tim wurde rot vor Ärger.
»Sie meinen wohl einen Irrenarzt!«
»Aber, aber, was sollen solche Bezeichnungen! Einfach einen Nervenarzt, einen Psychologen, jemanden, der auf das spezialisiert ist, was der Laie Nervenzusammenbruch nennt. Ich kann Ihnen einen guten Arzt in Kingston empfehlen. Und dann natürlich auch in New York. Es muss da irgendetwas geben, das diese nervösen Angstzustände hervorruft – Ihre Frau muss den Grund gar nicht wissen! Konsultieren Sie einen Arzt, Tim, und zwar so rasch als möglich!«
Er klopfte dem jungen Mann auf die Schulter und erhob sich.
»Momentan brauchen Sie sich aber keine Sorgen zu machen. Ihre Frau hat gute Freunde hier – wir alle werden uns um sie kümmern.«
»Und Sie glauben nicht, dass sie es nochmals versucht?«
»Ich halte es für unwahrscheinlich«,
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