Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
weltlichen Standes, die Ernte niemals, weder zur Zeit des Überflusses noch zur Zeit der Teuerung teurer» verkaufe als zu den nun, auf der Synode von Frankfurt 794, festgesetzten Preisen[ 53 ]. So wurde zu Beginn weiterer Gebotezum Nutzen für Kirche und König verkündet. Doch ohne die Großen, ohne die Beteiligung der Bischöfe und einflußreichen Äbte wäre ein solches Unterfangen von früh an zum Scheitern verurteilt gewesen. Die Mächtigen und – mit ihnen synonym – die Reichen mußten mit einbezogen werden. Sie wurden, ermahnt von den Drohungen des Jüngsten Gerichts und der Hölle, auf das christliche Liebesgebot verpflichtet; den Armen und Elendspersonen sollte sich die christliche Caritas tätig zuwenden.
«Wer ein Lehen von uns (dem König) innehat, soll eindringlich mit Gottes Hilfe dafür Sorge tragen, daß kein dem Lehen zugeordneter Knecht Hungers sterbe; was den Eigenbedarf für seine Leute übersteigt, soll er wie geboten verkaufen»[ 54 ]. Solches verlangte dasselbe Frankfurter Kapitular. Dessen 33. und 34. Kapitel lauteten: «Daß der katholische Glaube an die heilige Trinität, das Herrengebet, das Glaubensbekenntnis allen verkündet werde. Daß Geiz und Habsucht unterdrückt werden.» Glaubensgebote und Wirtschaftsordnung, Königsgewalt und Kirchenreform gingen Hand in Hand oder sollten es doch. Unterwerfung unter die Gebote der Religion, unter Gott, und Wirtschaftshandeln waren Momente derselben Königsherrschaft. Karl wünschte sie in seinem gesamten Herrschaftsgebiet zu verwirklichen, gerade auch unter seinen Großen und für alles Volk. Christliche Sozialethik sollte eingeübt und praktiziert werden. Ein solches Unterfangen verlangte umfassende Reformen. Würden die Großen ihrem König Folge leisten?
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Sonderfall Italien
n Italien war alles anders als in der «Francia», das mediterrane Klima, der Fortbestand alter Traditionen, die Sprache, die soziale Ordnung, die Rechte, die Produktionsordnungen, die Beziehungen zum Papst, die Religionspraxis, die Bildungsverhältnisse, das Wissen, kurzum alles. Die antike Stadtkultur war nicht völlig erloschen, obgleich auch hier wie andernorts die Stadtareale geschrumpft waren und Ruinenfelder sie umgeben konnten. Erhaltene oder restaurierte Bauten zeugten allenthalben von dem einstigen Glanz. Das urbane Zentrum, die
civitas
, der Sitz des Bischofs und seit karolingischer Zeit eines Grafen, war umgeben von einem mehr oder weniger ausgedehnten Umland, dem
comitatus
. Mitunter erwiesen sich diese stadtzentrierten Grafschaften als ausgesprochen kleinräumig. Die Begegnung der Franken mit diesem Land und seinen Menschen aber, die Konfrontation mit dem Fremden seit der Eroberung Pavias, mit der noch wahrnehmbaren Antike, lenkte geistige Innovationsschübe nach dem Norden. Karl mußte je länger desto deutlicher eine gewisse Rückständigkeit seines eigenen Frankenreiches erkennen. Ein ungeheurer Reformbedarf offenbarte sich ihm. Die Einsicht traf zusammen mit den ersten Reformanstrengungen, die bereits unter Karls Vater Pippin unternommen worden waren.
Die Langobarden hatten nicht das gesamte Land erobert; weite Regionen Italiens waren kaiserlich, was hieß: römisch geblieben. Ihr Zentrum bildete Ravenna, der Sitz des Exarchen, des Vertreters des Kaisers in Italien. Auch als der König Liudprand die Via Emilia nach Südosten vordringen, im Jahr 728 Bologna und 23 Jahre später sein Nachfolger Aistulf Ravenna erobern konnten, führten diese Erfolge zu keiner Einebnung der Herrschafts- und Rechtsverhältnisse. Südöstlich von Modena, in der «Romagna», galt römisches, nicht langobardisches Recht; hier herrschten andere Verhältnisse als im Westen und Norden des Landes. Heerwesen, Personenstand, Gerichtsverfassung und anderes unterschieden sich hier und da kräftig.
In der Mitte der Halbinsel erstreckte sich das langobardische Herzogtum von Spoleto; es war mehr oder weniger unabhängig vom Königtum in Pavia, doch unterstand es dem Frankenkönig. Weiter im Süden formte sich allmählich der «Kirchenstaat» des Papstes, das «Patrimonium Petri». Noch weiter gegen Mittag hielt der Herzog von Benevent die Herrschaft in Händen, auch er ein Langobarde und längst unabhängig vom König in Pavia. Er vermochte, zwischen den Fronten lavierend, auch den Karolingern erfolgreich Widerstand entgegenzusetzen. Apulien und Kalabrien gehörten noch unangefochten zum Reich der Rhomäer. Die Apenninhalbinsel bot damit alles andere als ein geschlossenes Bild.
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