Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
Auch ein Karl konnte hier nur erobern; das Land aber rechtlich oder kulturell zu einen, vermochte er nicht.
Pavia zeichnete sich durch eine Reihe zentraler Einrichtungen aus. Die Königspfalz war das Zentrum der Herrschaft, der Sitz der königlichen Finanzverwaltung, wo alle Abgaben (
exactiones
) zusammenflossen, wo das Königsgericht tagte, an dem nicht nur rechts-, sondern auch schriftkundige «Hofrichter» (
judices palatii
) und Hofnotare tätig waren. Karls Schenkungen italienischer Güter verwiesen wiederholt auf die an das
palacium
fließenden Abgaben[ 105 ]. Vielleicht war dort eine Rechtsschule zu Hause, an der die Richter den Umgang mit dem langobardischen Recht lehrten. Die sog.
Honorantiae civitatis
, eine Ämterbeschreibung der königlichen Kammer und der Pfalz, lassen noch etwas von der Effizienz der frühmittelalterlichen Organisation der Königsmacht erahnen. Sie stammten in der vorliegenden Form zwar erst aus spätottonisch-frühsalischer Zeit, doch besaßen sie vermutlich ältere und wohl in die langobardischen Jahrhunderte zurückreichende Wurzeln.
Auf diese verweist gleich das erste Kapitel: «Ihr alle, die Liebe, Nutzen und Ehre des Reichs der Lombardei erfüllt, vernehmt frohen und rechten Geistes, daß alle Ämter, die der Kammer des Königs und der Pfalz zugeordnet sind, und alle Königsrechte der Langobarden in alten Zeiten eingerichtet wurden»[ 106 ]. Namentlicherwähnt wurden freilich nur Könige des 10. Jahrhunderts, kein einziger Karolinger oder gar Langobarde. Geregelt wurden die Handelszölle und die Münze, die Abgaben der Goldwäscher und anderer Gewerbe, auch die Vormundschaft für reiche Frauen wurde bestimmt, die keinen Muntwalt hatten. In der Stadt und in Verbindung mit dem Königshof blühten eine oder mehrere Schulen, an denen Laien lehrten und die Laien besuchten; sie sorgten für eine noch immer beachtenswerte literate Bildung; sie reichten auf jeden Fall in die Langobardenzeit zurück. Karl sollte davon profitieren, auch wenn die Traditionen des Frankenreiches und das Personalitätsprinzip des Rechts die Übernahmen der Institutionen verhinderten.
22 Bernhard von Italien als König und Gesetzgeber, Kapitularienhandschrift, früheres 9. Jahrhundert (Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal, Kärnten, Cod. 4/1f.1v)
In der Tat, die Laienbildung blühte in der Stadt am Ticino und andernorts. Die Grammatik, der Lateinunterricht, der die Dichtkunst mit einschloß, standen in hohen Ehren. Petrus Pisanus hatte dort unterrichtet, bevor er mit Karl nach Norden zog. Auch Paulus Diaconus war als Laie in Pavia zur Schule gegangen, hatte dann zeitweilig dort selbst als Lehrer gewirkt, bevor er die Prinzessin Adalperga nach Benevent begleitete und sich später, nach dem Untergang des Langobardenreiches, nach Montecassino zurückzog. Paulinus, den Karl seiner Bildung wegen erst an seinen Hof gezogen hatte und dann zum Erzbischof von Aquileia erhob, war Lehrer in Cividale gewesen, dem Herrschaftszentrum im Friuli, noch heute durch seinen einzigartigen «Tempietto» ausgezeichnet. Vielleicht überlebten – etwa in Pavia oder in Mailand – sogar Handwerker- und überhaupt Berufskollegien den schleichenden Niedergang der Antike.
Die karolingischen Könige Italiens freilich residierten nicht in Pavia, sie bevorzugten, vielleicht der Nähe zu der Grenze gegen die Awaren wegen, zunächst die Pfalz in Verona. Dort sammelte Pippin, Karls Sohn, möglicherweise wie der Vater antike Texte und Handschriften. Vielleicht hat sich tatsächlich, gewiß ist es freilich nicht, in der Handschrift der Staatsbibliothek Berlin Diez B Sant. 66 ein Inventar erhalten, das freilich auch mit dem Karlshof in Verbindung zu bringen ist[ 107 ]. Das Bemerkenswerte dieser für das 8. Jahrhundert tatsächlich einzigartigen Liste sind die zahlreichenpaganen lateinischen Autoren, die sich zwar in der fraglichen Bibliothek befunden haben könnten, aber am Hof des Frankenkönigs nicht nachzuweisen sind: die Dichter Lucan, Statius, Terenz, Juvenal, Tibull, Horaz, Claudian, Martial, die beiden Prosa-Autoren Cicero und Sallust, sowie die drei Grammatiker Julius Victor, Servius, Arusianus Messius. Wohin immer diese Liste gehörte, sie verweist auf einen weltlicheren Bildungshorizont als sonst im Frankenreich vor dem Jahr 800.
Überhaupt, neben Pavia, Verona oder Ravenna traten andere Zentren karolingischer Herrschaft und vorkarolingischer Bildung hervor. Ohne Zweifel gehörte die irische Klostergründung in Bobbio dazu.
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