Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
mit den Päpsten ein allgemeines Herrschaftsprogramm umriß, dann diese Worte an den eben, im Dezember 795, geweihten Leo III.[ 1 ] Karl war nun 48 Jahre alt, auf der Höhe seiner Kraft, als er solches schreiben ließ. Er schwang das Schwert und festigte den Glauben. Seine Ziele lagen klar vor ihm. Katholisch, Gott nahe, nach dem Maß der eigenen Seele[ 2 ]: Eine mit der Königsherrschaft verschmelzende Religiosität, eine ‹politische› Religion könnte sie heißen, wenn der Begriff nicht Gefahr liefe, unzeitgemäß zu sein.
Karl war von früh an im Glauben erzogen. Er folgte seiner ewig gültigen Botschaft. Sie duldete keinen Wandel; sie konnte nur bedroht, nur von Häretikern verfälscht, nur verloren werden. Den Glauben zu schützen, war die Königsaufgabe schlechthin; er war für alle Zeit ausformuliert und verpflichtend. Wenige Zeugnisse und an ihrer Spitze das Glaubensbekenntnis bargen seine Botschaft, wenn auch in knappe, schwer ergründbare Worte gehüllt. Ihre Geheimnisse hatten die heiligen Kirchenväter erläutert. Daran war nicht zu rütteln; zu ihrem Glauben war zurückzukehren. Ihre Schriften verkündeten die rechte Norm. So etwa dürfte Karl es gesehen haben und entsprechend handelte er. Diesen Glauben zu verbreiten und weiter zu festigen, erkannte er nun als seine vordringlichste Aufgabe.
Wohin immer der König, der Eroberer, vorstieß, Glaubensboten begleiteten und folgten ihm. Karl stellte sich damit in eine langeTradition christlicher Herrscher. Aber das genügte ihm nicht; er drängte darüber hinaus und überschritt bisherige Grenzen. Er wachte über das rechte Verständnis dieses Glaubens, über das kanonische Wissen um ihn. Dem Papst wies er bloß das Gebet zu: «Eure Aufgabe, allerheiligster Vater, ist gleich Moses mit zu Gott erhobenen Händen unserem Dienst beizustehen (
nostram adiuvare militiam)
, auf daß, indem ihr betet, das Christenvolk durch Gott als Führer und Spender allezeit und allerorten den Sieg über die Feinde seines heiligen Namens davontrage, und der Name unseres Herrn Jesus Christus in der ganzen Welt verherrlicht werde». Der «Name», das war Gott, war die Kirche, der rechte Glaube. Karls vornehmste Bestimmung war, gestärkt vom Gebet des Nachfolgers Petri, die Verherrlichung des Namens Christi. Er hatte den Gipfel der Macht bestiegen. Da er siegte, war Gott mit ihm.
Den Brief hatte der Angelsachse Alkuin stilisiert, der unlängst wieder am fränkischen Hof eingetroffen war und fortan für immer im Frankenreich blieb. Eine spezifisch angelsächsische Position vertrat er mit den programmatischen Sätzen nicht. Was er diktierte, mußte tatsächlich Karls Vorstellungen und Wünschen, seinen Zielen entsprochen haben. Alkuins Kontrahent, der Westgote Theodulf, schon oder bald Bischof von Orléans, beeilte sich, die Aufgaben noch schärfer zu fassen: «Du (Karl) führst die Schlüssel der Kirche, er (Leo) die des Himmels. Du lenkst seine Macht, leitest Klerus und Volk. Er führt dich zu den himmlischen Chören»[ 3 ].
Andere sahen es in ähnlicher Weise. Der König sei «Vertreter Gottes, ein Bischof nur Vertreter Christi», so hieß es – in theologisch und kirchenrechtlich nicht unproblematischer Differenzierung – in dem Pastoralschreiben des Iren Cathuulf[ 4 ]; «Herr und Vater, König und Priester, aller Christen maßvollster Lenker» feierten ihn Italiens Bischöfe im Jahr 794[ 5 ]. «König und Priester»: Solche Lenkerschaft überstieg jede bloße Schutzherrschaft, griff in die Ordnung der Kirche ein, wachte über den Glauben, machte vor geistlichen Aufgaben nicht halt. Leo oder schon Hadrian konnten es schwerlich billigen, mußten es aber dulden. Jeder Krieg, jedes Gericht, das Karl hielt, jede Strafaktion, die er durchführen ließ,erst recht jedes Eingreifen in theologische Dispute, derer es nicht mangelte, war seiner Kirchenleitung geschuldet.
Karl handelte aus den Erfahrungen der zurückliegenden Jahrzehnte. Die Kirchen des Frankenreiches, ihre Priester und Besitzungen, hatten schwer unter den Nachwehen der unruhig-kriegerischen Verhältnisse des früheren 8. Jahrhunderts zu leiden. Hier mußte reformiert werden. «Kirche» aber umfaßte im Verständnis der Epoche mehr als nur die Geistlichkeit. «Kirche» überstieg alles Irdische; sie war der mystische Leib Christi, präsentierte sich gemäß dem Apostel Paulus als das einzige korporative Ordnungsmuster, über das die Zeitgenossen verfügten: Ein spiritueller Leib mit Haupt und Gliedern, mit Augen,
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