Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
Mönch noch Kleriker sollten sich in weltlichen Geschäften ergehen. Mönche und Weltkleriker sollten zum Essen und Trinken keine Tavernen aufsuchen. Ein Verhaltensethos wurde erneuert, an dem sich die Kirche insgesamt orientieren wollte. Sexuelle Reinheitsgebote gingen damit einher, die einzuhalten freilich den wenigsten gegeben war. Die Priester, die Gottesdiener, sollten reinen Leibes ihren heiligen Dienst versehen.
Unfreie durften nur mit Zustimmung ihres Herrn zum Kleriker oder Mönch geschoren werden. Allen sollte der Glaube an dieHl. Dreifaltigkeit, an Christi Menschwerdung, sein Leiden, seine Auferstehung und Himmelfahrt gepredigt werden. Verboten sei, nach der Trennung einer Ehe zu Lebzeiten des bisherigen Partners eine neue Verbindung einzugehen. Sodomie und Homophilie unter Priestern sollte mit strengster Buße geahndet werden. Priester, die fortgesetzt gegen die Dekretalen verstießen und sich nicht bessern wollten, sollten abgesetzt werden. Das alles und mehr sollte in Erinnerung gerufen werden; man sollte sich daran halten, um nicht dem Anathem, dem schrecklichen Verdammungsurteil, zu verfallen. Doch durchgedrungen ist es trotz solcher Drohung nicht, jedenfalls nicht zur Gänze, manches bis heute nicht. Selbst Karl handelte nicht immer rechtens, hatte er doch den Passus über die Ehetrennung übertreten (c. 43), als er zu Lebzeiten zweier verstoßener Ehefrauen eine dritte zu sich nahm. Stand der König über dem Recht?
Es folgte – Karls Willen erfüllend – eine Reihe «nutzbringender» Normen zur Lebenspraxis (
utilia
) (cc. 60–79), die teilweise aus älteren Volksrechten oder früheren Kapitularien übernommen wurden. Sie überstiegen mitunter menschliches Maß. Der Glaube sollte von Bischöfen und Priestern dem Volk gepredigt werden. «Gott ist einzig» «und wir sollen ihn lieben aus ganzem Herzen, mit allem Verstand, aus ganzer Seele und mit aller Kraft». «Daß Friede herrsche und Eintracht und Einmütigkeit im gesamten Christenvolk zwischen Bischöfen, Äbten, Grafen, Richtern und allen hohen und niedrigen Personen, wo immer sie sich befinden; denn nichts gefällt Gott ohne Frieden» (c. 61). Auch Prälaten stritten, boten ihre Vasallen gegeneinander auf. Wieder und wieder wurde der Friedensappell in den kommenden Jahrzehnten erneuert – ohne letzten Erfolg. Gerecht sollte gerichtet werden. Die Richter sollten das Recht kennen, das weise Männer für das Volk zusammengestellt hätten. Doch was war Gerechtigkeit? Wer bemaß sie? Meineid sei zu fürchten; für jeden Eid sei im Jüngsten Gericht Rechenschaft abzulegen. Zäh hielten sich heidnische Praktiken. Noch gegen Ende von Karls Regierung war gegen sie vorzugehen. Auch jetzt wurden Wahrsagerei, Heil- und Schadenszauber, die Verehrung von Bäumen, Felsen und Quellen verboten[ 98 ]. Gegen Neid, Hass und Habsuchtsei zu predigen und zumal gegen die Gier, das Grundübel menschlichen Verhaltens.
Gesellschaftliche Fragen wurden nicht nur mit den Verboten der mannigfachen Zauberei angeschnitten. Totschlag, Diebstahl, widerrechtliche Ehen, falsches Zeugnis seien zu ahnden. Wer einen Menschen getötet habe, sei dem königlichen Richter vorzuführen und nur, wenn das Gesetz es verlange, hinzurichten; das zielte gegen Blutrache und Privatfehde und diente ebenso dem Frieden im Reich wie der folgende Passus. Diebstahl, illegitimes Konkubinat, falsches Zeugnis sollten – vom König schon oft angemahnt – geahndet und verhindert werden. Die Bischöfe sollten Sorge tragen, daß ihre Priester die Gebetstexte der Messe verstünden, die Psalmen richtig sängen, das «Vaterunser» begriffen und ihrem Kirchenvolk recht auszulegen vermöchten. Manch einer verstand das Latein schlecht, das er in der Messe sang. Priester und Diakone sollten keine Waffen tragen, sich vielmehr mit Gottvertrauen wappnen. Wie weit war das Gegenteil verbreitet?
Gleiches Maß und korrekte Gewichte seien in Stadt und Kloster zu benutzen, auch das diente dem Frieden im Reich. «Alle» sollten für Fremde, Pilger und Arme dem Kirchenrecht angemessene Hospize bereithalten, «denn der Herr selbst wird in der Vergeltung des großen Tages (im Jüngsten Gericht) sagen: ‹Ich war ein Fremdling und ihr habt mich aufgenommen›» (c. 73). Apokryphe Schriften, angebliche «Himmelsbriefe» und dergleichen sollten den Flammen übergeben werden. Der Sonntag sei zu heiligen; niemand dürfe an diesem Tag «Knechtswerk» vollbringen, weder Feldarbeit, noch die Reben hegen, noch roden und Bäume
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