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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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maßgeblichen Ursachen des Verfalls. Er wollte Falsches bessern, seinen Hof, sein Königtum, die Völker seines Reiches, Religion und Kirche aufleuchten lassen, wollte Überflüssiges und Verderbtes wegschneiden, das Richtige herbeizwingen. Heilsames Tun verlangte rechtes Wissen. «Obgleich es besser ist», so mahnte Karl Kleriker und Mönche, «gut zu handeln als bloß zu wissen, so geht doch das Wissen dem Handeln voraus»,
prius tamen est nosse quam facere
– welch schlichter, welch weiser Satz, den zu beherzigen auch heute jedem Politiker gut anstünde[ 100 ]. Knapper und umfassender konnte schwerlich der entscheidendeReformimpuls formuliert werden. Es galt, alles zu erneuern nach den Maßgaben der Kirchenväter und den Heilsweisungen des Papstes, nach dem Maß eigener Gottesträgerschaft, um die Kirche zu schützen, den Glauben zu stärken, den Frieden zu fördern, die Welt zu ordnen. Doch vordringlich mußte das Wissen erneuert werden.

8

«Die Weisheit der Alten erneuern»
    bgleich alles Wissen und jedes Studium der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen nur durch Rede erschlossen wird, fand sich bislang doch niemand, mein Sohn, in welcher Disziplin auch immer bewandert, der Ursache und Grundlage solcher Rede abhandeln wollte. Deshalb darf man über die Sorgfalt des Philosophen Aristoteles staunen, der, begierig, alles zu erforschen, mit der Untersuchung der Rede begann, von der er wußte, daß alle sie übergingen, daß sie aber jedem notwendig sei.» Mit diesen Sätzen begann eine kleine Kategorien- und Aussagenlehre, die am Königshof und in seinem Umfeld kursierte. Sie war in der Spätantike entstanden und frühzeitig an Karls Hof bekannt geworden. Hatte Alkuin sie mitgebracht oder der Gote Theodulf? Wie immer, sie lief unter dem Namen des hl. Augustinus, bewahrte aber die leicht faßliche Paraphrase des griechischem Philosophen Themistios (oder eines Autors seines Umkreises) aus dem vierten nachchristlichen Jahrhundert, vielleicht in der Übersetzung des Vettius Agorius Praetextatus[ 101 ].
    Dieser Text der «
Categoriae decem
» findet sich in der absolut ältesten erhaltenen Handschrift mit einer aristotelischen Schrift überhaupt, die bislang aufgespürt wurde. Das Manuskript, das sich heute im Maristenkloster zu Rom befindet, entstand im Jahr 795 für den Erzbischof Leidrad vermutlich als Kopie eines am Hofschon verfügbaren Exemplars. Theodulf, dieser gelehrte Mann, hatte diese Kategorienschrift bereits für die von ihm um das Jahr 793/794 verfaßten «Libri Carolini» herangezogen[ 102 ]. Von «Nomen» und «Verb» stand da zu lesen, von «Sein», «Wahrnehmen» und «Aussprechen», von «Substanz» und «Accidens» (dem zufälligen Beiwerk wie etwa die Farbe eines Kleides) und von den zehn Kategorien des Aristoteles, auch von den «Antipoden», den «Gegenfüßlern» auf der anderen Seite der Erdkugel. «Nichts haben wir in dieser Schrift ausgelassen, das die Gelehrten erfreuen, die Ungelehrten aber um so gewisser belehren kann»; so versicherte großspurig der Autor am Ende seinen Leser. Eine Fülle von Fragen sah sich aufgeworfen, doch wer konnte sie beantworten?
    Ein wacher Zeitgenosse mußte viele Defizite registrieren. Karl aber wurde neugierig. Die Aufgabe, für die er den fremden Gelehrten konsultierte, lag auf der Hand. Zu deutlich offenbarten sich die Lücken. Zu viel war untergegangen in den zurückliegenden Jahrhunderten. Es wurde mit fortschreitendem Wissen und Können immer offenkundiger. Der junge König bemerkte es frühzeitig und noch am Ende seines Lebens, nach über vierzig Regierungsjahren, beklagte es der welterfahrene Kaiser und widmete sich immer nachdrücklicher dem unvollendeten Reformwerk.
    Es galt, die antiken Wissenschaftsdisziplinen zu erneuern, um den Anschluß an die Lehren der christlichen Väter zu gewinnen. Das weite Feld der brachliegenden Vernunftkultur mußte wieder bestellt werden. Dazu mußten ungewohnte Vokabeln gepaukt, philosophische Begriffe, eine Ausdrucksweise erlernt oder wieder erlernt und dialektische Denkfiguren neuerlich eingeübt werden, die lange brachlagen, doch den aristotelischen Vernunftregeln folgten. Der hl. Augustinus selbst hatte mit seiner «
Doctrina christiana
» den Weg gewiesen. Karl schätzte dieses Werk ebensosehr wie desselben Kirchenvaters große Apologie «
De Civitate Dei
», die mit Ausblicken auf das Weltende und das Jüngste Gericht schloß und damit die Dringlichkeit allen reformerischen Handelns unterstrich.
    Eingebettet

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