Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
fällen, noch Steine brechen, noch ein Haus bauen, noch jagen, noch weben, noch nähen, noch sticken, noch spinnen, noch Leinen schlagen, noch öffentlich die Kleider waschen – das alles war verboten, um den Herrentag zu ehren. Allein Kriegs-, Lebensmittel- und Totentransporte waren dann zulässig. Hier endlich, wenn auch nahezu am Ende des langen Kapitulars, fanden die außerkirchlichen Erfordernisse des Reiches Erwähnung. Karl hatte sie nicht aus den Augen verloren. An eine Reform oder auch nur Ergänzung der Volksrechte aber, der Rechte der Franken, Burgunden, Goten, Alemannen, Baiern oderLangobarden, wagte er sich – von rigiden Normen für die neugetauften Sachsen abgesehen – erst nach der Kaiserkrönung[ 99 ].
Nicht die unwichtigsten Kapitel galten der Bildung (c. 70). Kirchen-, ja Heilsordnung und Literalität gehörten zusammen. Die Schüler sollten die Psalmen, die Buchstaben (
Notae
), also lesen und schreiben, auch den
cantus
lernen, mithin den liturgischen Gesang, sollten den
compotus
(die komplizierte Zeit- und Kalenderberechnung, die für die Feier von Opfertod, Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn von grundlegender Bedeutung war) und die Grammatik (was hieß: das Latein) beherrschen. Die Texte der liturgischen Bücher sollten korrekt sein, da allzuoft wegen nachlässiger Abschriften falsch zelebriert werde. Evangeliar, Psalter und Missale sollten nur durch Erwachsene, nicht durch die Schüler, mit größter Sorgfalt abgeschrieben werden. Die Gebete der Messe und der Psalter seien verständig und würdig zu singen (c. 68). Den
cantus Romanus
, die Art und Weise, die hl. Messe zu singen, sollte – der Einheit mit dem apostolischen Stuhl und der friedlichen Eintracht der gesamten Kirche wegen – der fränkische Klerus beherrschen (c. 78). Neben der Erneuerung der hierarchischen und jurisdiktionellen Ordnung der Kirche sollten diese Bestimmungen am nachhaltigsten wirken, wenn man so will: bis heute.
Die zahlreichen Gebote endeten mit einem langen und predigtartigen Kapitel (c. 80). Es galt der Glaubensverkündung. Keine eigenen Lehren sollten verbreitet werden, sondern allein das, was die heiligen Schriften verkündeten: Nützliches, Verehrungswürdiges, Rechtes, daß Vater, Sohn und Heiliger Geist ein allmächtiger Gott seien, der Himmel und Erde schuf, daß sie eine Gottheit, eine Substanz und Majestät seien, in den drei Personen von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Die ganze Glaubenslehre wurde ausgebreitet bis hin zur Verstoßung der Gottlosen «gemeinsam mit dem Teufel ins ewige Feuer», der Aufnahme der Gerechten «gemeinsam mit Christus ins ewige Leben». Der gesamte Lasterkatalog wurde zur Orientierung der Prediger und Volkserzieher in Erinnerung gerufen: Unzucht, Befleckung, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft bis hin zu Totschlag, Trunksucht und Ausschweifung.Auch das Heilswerk wurde angesprochen: Demut, Geduld, Keuschheit, Nachsichtigkeit, Barmherzigkeit, Almosen und Sündenbekenntnis, Vergebung der Schuld den «Schuldigern». Die Lehre mündete endlich in die Warnung vor den Jüngsten Zeiten, in denen falsche Lehrer aufträten. «Deshalb, ihr Lieben, bereiten wir uns im Wissen der Wahrheit, damit wir den Gegnern der Wahrheit Widerstand leisten können und das Wort Gottes wachse». Der Wechsel zurück zur ersten Person schloß den König wieder mit ein. «Friede den Predigern, Gnade den Gehorsamen, Ruhm unserem Herrn Jesus Christus. Amen!»
Ein schlichter Glaube wurde zu verkünden geboten, Grundbedürfnisse der Kirche, ihrer Verfassung und hierarchischen Ordnung sowie des christlichen Alltags ins Gedächtnis gerufen. Alles aber mündete in die Erwartung der Endzeit. Alles Kirchenrecht, alle Kirchenordnung galt dem rechten Zuleben auf sie: «Wir sollen uns bereiten». Das irdische Reich des Frankenkönigs sollte in diesem Sinn geordnet, gebessert, erneuert, in eine gottgefällige Königsherrschaft verwandelt werden. Der Weg zum Himmelreich begann mit der Verwirklichung christlicher Weltordnung, so wie es Hadrian dem König mit der Zusendung seiner Rechtssammlung angedeutet hatte. Doch wer fand sich in dieser Fülle an Einzelverfügungen, in diesem Sammelsurium alter, neuer Sozialgebote zurecht? Nicht nur das illiterate Volk wird sich schwer getan haben.
Der König freilich blickte jetzt tiefer als zuvor, sah nun, im Jahr 789, deutlicher noch als früher neben dem großen Korrekturbedarf gerade auch mangelnde Literalität, mangelndes Wissen und Können als eine der
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