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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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Gegenmaßnahmen – mündlich gemeldet werden. Kenntnis der Liturgie, fehlerfreie Texte, angemessene Kirchenpflege, korrekte Zeitberechnung oder Medizinkenntnisse wurden jetzt verlangt und sollten von den Boten überprüft werden[ 101 ]. Nichts warneu, aber alles von Nachlässigkeit und durch mangelnde Kontrolle bedroht.
    Besonders ärgerlich erschien der Fall jener Simulanten, die, um sich dem Herrendienst zu entziehen, vorgaben, der Welt entsagt zu haben, tatsächlich aber weder Kleriker wurden noch ins Kloster gingen. Sie sollten sich nun entscheiden. Mädchen im Kleinkindalter (
puellulae
) sollten nicht verschleiert werden, ohne sich selbst entscheiden zu können (was nach den Vorstellungen der Zeit erst mit dem siebten Lebensjahr der Fall war); ein späteres Kapitular verlangte das 25. Lebensjahr[ 102 ]. Klosterpropst oder Archidiakon sollten nicht Laien sein, vielmehr die Profeß abgelegt oder Klerikerweihen empfangen haben. Offenbar waren Normverstöße an den Kaiser gemeldet worden. Immer wieder kam es zu dergleichen Mißständen in dem nur rudimentär verwalteten, von diversen kirchlichen und adeligen Herrschaften durchsetzten Imperium.
    Auch weltliches Recht war gefragt[ 103 ]. Lange Jahrzehnte hatte Gewalt im Reich der Franken dominiert. Sie einzudämmen forderte Beharrlichkeit, Geduld und den Kampf gegen alte Gewohnheiten. Karls neuerliche Verfügungen sprechen für sich selbst. Verbrecher sollten als Rebellen büßen (Nr. 44,1). Waffen, nämlich Schild, Speer und Brünne, wurden zuhause zu tragen verboten. Der Kleinkrieg im Reich, die blutigen Streitigkeiten unter Freien, sollten eingedämmt oder wenigstens in den Auswirkungen gebändigt werden. Wer 12 Hufen (als Königslehen?) besaß, mußte eine Brünne vorweisen; wer sie (beim gebotenen Militärdienst) nicht mit sich brachte, sollte sie zusammen mit seinem Lehen verlieren (44,6). Friedensbrecher, was hieß: Gewalttäter, hatten vor dem König zu erscheinen. Wer nach einem Friedensschluß (mithin nach der Streitschlichtung) noch immer mordete, vielleicht Blutrache betrieb, sollte seine Schwurhand verlieren und dem Königsbann verfallen (44,5). Der Handel mit Slawen und Awaren sollte über bestimmte Grenzstationen gelenkt und kontrolliert, Waffen durften zu ihnen nicht exportiert werden (44,7). Treueide sollten allein dem Kaiser und – zum Nutzen des Kaisers – dem eigenen Herrn geschworen werden (44,9).
    Die Königsboten sollten dafür sorgen, daß, wer immer über einVermögen von sechs Pfund Gold oder Silber oder an sonstigen Wertgegenständen verfüge, nach Abzug der Kleidung für Frauen und Kinder den Heerbann von drei Pfund zu entrichten habe, wer sie nicht aufbringen könne, nur dreißig Schilling, wer noch weniger besäße, entsprechend weniger. Die
Missi
sollten darauf achten, daß niemand den König um diese Steuern betrüge (44,19). Kriege kosteten Geld, auch damals, und wurden über die ‹Steuern› kleiner und kleinster Vermögen finanziert. Wieder wurden Recht und Gerechtigkeit angemahnt, der Schutz der Armen und mittellosen Vasallen, wieder sollte gegen entlaufene Kleriker, Laien und flüchtige Frauen, gegen Falschmünzerei und ungenehmigte Zölle vorgegangen, die Ehen zwischen Freien und (unfreien) Fiskalinnen geregelt werden.
    Die Kaisermacht sollte auf dem Weg sich addierender Einzelmaßnahmen das Reich mit Frieden durchdringen, mit Ordnung und Recht, mit Glauben und Gottesdienst stärken. Frieden durch Herrschermacht aber bedeutete Intensivierung der Königsgewalt. Eine für ihre Zeit grandiose Verdichtung der Herrschaft wurde ins Werk gesetzt. Es gab ja keine Bürokratie und keine Polizei; es gab nur Herren und Freie, deren Aggressionsbereitschaft gezähmt werden mußte; die zahllosen Knechte und Mägde zählten nicht.
    Zugleich galt es, das Hauptgeschäft dieser Jahre zu erledigen, die Regelung der Nachfolge des Kaisers. Karl war jetzt, im Jahr 806, 58 Jahre alt. Er stand auf der Höhe seiner Macht. Die Grenzen waren, so gut es ging, gesichert, die Gegner im Innern zum Schweigen gebracht, das erneuerte Kaisertum hatte die Schleusen der Gesetzgebung geöffnet. Wie aber würde, was der Kaiser einst ererbt, in zahlreichen Kriegen erweitert und in 37 Jahren kraftvoller Herrschaft gefestigt hatte, in diesen «gefährlichen Zeiten» ohne ihn bestehen können? Seine Erben Karl, Pippin und Ludwig waren erwachsen, selbst der jüngste würde bald das dreißigste Lebensjahr erreichen. Sie verfolgten eigene Interessen, scharten eigene

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