Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
Vasallen um sich oder doch Leute, die es werden wollten, bereiteten sich, wie zu ahnen war, auf Auseinandersetzungen mit den Brüdern, vielleicht auf Kämpfe vor. Die Friedenssicherung forderte mit höchster Dringlichkeit vorbeugende Maßnahmen. Was Karl nunplante, verrät viel über die Zukunftsvision dieses mächtigen Mannes, der sein Ende nahen sah.
Ein Hoftag war nach Diedenhofen einberufen worden. Auf ihm verkündete Karl in Absprache mit seinen Großen am 6. Februar 806 eine Reichsteilung unter die drei Söhne, die in eine Friedenskonstitution mündete[ 104 ]. Sie wurde durch die Anwesenden eidlich bekräftigt. Die entsprechende Urkunde wurde dem Papst zu Zustimmung und Unterschrift durch den vertrauten Einhard überbracht, der vielleicht schon an der Formulierung beteiligt war[ 105 ]. Teilung und Friedensplan bildeten eine unübersehbare Einheit. Karl beschritt, obgleich er vordergründig der Gewohnheit der Franken folgte, mit dieser Teilung tatsächlich neue Wege. Der erhaltene Wortlaut – eher eine Konstitution als ein Diplom – weist zwei unterschiedlich umfangreiche Teile auf: Der kurzen Teilungserklärung (c.1–5) folgten ausführliche Friedensstatuten (c. 6–19) und ein Schlußkapitel (c. 20). Das Ergebnis bündelte wie in einem Brennspiegel die Sorgen des Kaisers.
Die Beschlüsse sollten im gesamten Reich verkündet werden; noch heute lassen sich, obgleich der Tod der älteren Söhne die Realisierung dieser Teilung vereitelte, immerhin die Spuren von drei Exemplaren erkennen, deren eines auf Adalhard von Corbie, deren zweites auf ihn oder auf seinen Bruder, den Grafen Wala, verweist, die beiden Vettern und wichtigsten Helfer des alternden Kaisers, deren drittes über Walahfrid Strabo auf das Aachener Pfalzarchiv zurückgehen könnte. Die Vettern, Karolinger der Seitenlinie die sie waren, dürften maßgeblich auf die frühzeitige Reichsteilung gedrängt haben; Pippin von Italien war ja der Ehemann ihrer Schwester Theodrada[ 106 ]. Die Spur einer römischen Handschrift, die es gegeben haben muß, hat sich bisher nicht auffinden lassen. Alle Freien im Reich sollten – so die ‹Ausführungsorder› – ihren Konsens zu der Friedensregelung durch Eid bekräftigen, Königsboten die Durchführung überwachen und den Eid entgegennehmen. Die Vereidigung galt als wichtigstes Friedensinstrument. Dies alles, die beschlossene Teilhabe der Söhne an der väterlichen Herrschaft, die Verschriftung, die Vereidigung und die Übersendung der Nachfolgeordnung an den Papst, beschritt in seiner Gesamtheit neue Wege.Die betroffenen Großen sollte sich rechtzeitig auf ihre künftigen Herren einstellen können.
Adressat der Konstitution waren alle Getreuen der Kirche Gottes, die Gesamtheit der christlichen Gemeinde in allen Völkern unter Karls Imperatorengewalt. Entsprechend programmatisch lautete die kaiserliche Intitulation:
Imperator
Caesar Karolus rex Francorum invictissimus et Romani rector imperii pius felix victor ac triumphator semper augustus
. Diese Titulatur zitierte in ihrer Gesamtheit keine antiken Vorbilder, wurde aber dennoch solchen durch Übernahme einzelner antiker Formeln nachgestaltet; hinzu kamen liturgische Wendungen. Der Titel besaß somit eine an antik-römische Kaisergesetze gemahnende universalistische Konnotation und eine entsprechend legitimierende Funktion. Doch kursierte die Konstitution auch mit der üblichen Kaisertitulatur, wie sie seit dem Jahr 801 Verwendung fand und jetzt vielleicht die Empfänger in den fränkischen und rechtsrheinischen Gebieten erreichen sollte. Die verfügten Regelungen sollten unabhängig von den jeweiligen Volksrechten Gültigkeit besitzen sowohl in den Ländern überwiegender Mündlichkeit, als auch im langobardischen und römischen Italien, in Südgallien und in den zu Karls Herrschaftsbereich gehörenden einst westgotischen Gebieten, wo vulgarrömisches Recht in Kraft stand.
Schon die Einleitung der Karlsurkunde, ihre Arenga, fiel durch ihr eigentümliches Kontinuitätsprogramm aus dem Rahmen des Gewöhnlichen und appellierte mahnend an das christliche und kollektive Gedächtnis. Die göttliche Milde würde die zum Untergang treibenden
Secula
, so hieß es da, durch die Abfolge der Generationen wieder herstellen[ 107 ]. Indem sie ihm, dem Kaiser, drei Söhne schenkte, habe sie seine Hoffnung hinsichtlich der Königsherrschaft befestigt und seine Sorge vor einer von Vergessen heimgesuchten Zukunft gemildert. Gegen das Vergessen also und für den Frieden
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