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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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Hardman die Neuigkeit verschwiegen hatte. Jetzt war Hardman jedenfalls
gewarnt; er wußte, was immer er vorhatte, mußte in den nächsten drei Tagen
geschehen.
    Kerans sah ärgerlich auf den Wecker;
es war ihm unangenehm, sich selber nur noch so wenig im Zaum zu haben. Erst
stahl er ohne ersichtlichen Grund den Kompaß, jetzt sabotierte er absichtlich
die Ziele Bodkins. Wie viele Fehler er auch haben mochte, bisher hatte er immer
gemeint, eine einzige Tugend wiege sie alle auf – völlige und objektive
Erkenntnis seiner eigenen Motive. Daß er oft zögerte, war nicht auf
Unentschlossenheit zurückzuführen, sondern auf seine Abneigung davor, überhaupt
zu handeln, wo die Dinge für ihn nicht ganz klar lagen – wie zum Beispiel in
seinem Verhältnis zu Beatrice Dahl, das von so vielen, einander
entgegenstehenden Leidenschaften bestimmt wurde und bei dem er Tag um Tag mehr
das Gefühl hatte, auf einem schmalen Seil von tausend Ängsten und Hemmungen zu
balancieren.
    Er machte einen schwachen Versuch,
die Sache zu vertuschen und wieder geradezubiegen. »Wenn ich Sie wäre, Hardman,
würde ich den Wecker so einstellen, daß er immerzu läutet.«
     
    Bodkin und Kerans gingen zur
Anlegestelle und stiegen in Kerans' Katamaran. Kerans war zu müde, um den Motor
zu starten, er zog das Boot langsam an der Trosse zwischen Hauptquartier und Laboratorium
zur Teststation hinüber. Bodkin saß hinten und hielt den Plattenspieler wie
eine Aktentasche zwischen den Knien. Er blinzelte; der Widerschein des hellen
Sonnenlichts auf dem schlammigen, grünen Wasser blendete ihn. Sein rundliches
Gesicht unter dem unordentlichen grauen Haarschopf sah besorgt und nachdenklich
aus. Kurz vor der Station donnerte der Hubschrauber über ihnen hinweg, setzte
beim Hauptquartier auf und brachte das Boot zum Schwanken, so daß die Trosse
ins Wasser tauchte, sich dann wieder spannte und sie besprüht wurden. Bodkin
fluchte leise, aber sie wurden ohnehin in Sekundenschnelle wieder trocken. Es
war schon vier Uhr nachmittags vorbei, aber die Sonne erfüllte mit ihrem Licht
noch den ganzen Himmel, verwandelte ihn in eine gewaltige Fackel und zwang den
Blick nach unten.
     
    Eine zweistöckige Tonne, fast zwanzig
Meter im Durchmesser, beherbergte unten die Teststation, auf den Oberdecks die
Quartiere der Biologen, den Landkartenraum und die Büros. Eine kleine Brücke
führte über das Dach, auf ihr waren die Temperatur- und Feuchtigkeitsmesser,
das Gerät zur Regenmessung und der Strahlungszähler angebracht. Klumpen
getrockneter Luftalgen und roten Seetangs klebten verkrustet auf den geteerten
Platten des Pontons, zusammengeschrumpft und von der Sonne verbrannt. Dichtes,
schwammiges Gefilz von Sargassum und Spirogyro dämpfte den Anprall des Bootes
an der Anlegestelle.
    Drinnen setzte sich jeder an seinen
Schreibtisch; hier war es angenehm kühl und dunkel. Von den Wänden hingen
Programme über Programme, die ersten links noch voller detaillierter
Eintragungen, weiter rechts wurden die handschriftlichen Bemerkungen immer
spärlicher und großzügiger. Viele der Tafeln hatten einen Teil ihrer Reißnägel
eingebüßt und hingen wie abblätternde Rumpfplatten eines schrottreifen Schiffs
vornüber – eines Schiffes, das seinen letzten Hafen erreicht hat und dessen
Wände mit unverständlichen, bedeutungslos gewordenen Kritzeleien bedeckt sind.
    Kerans malte gelangweilt ein großes
Kompaßblatt in den Staub auf seinem Pult; er wartete, ob Bodkin seine
merkwürdigen Experimente mit Hardman irgendwie erklären würde. Bodkin hatte
sich jedoch gemütlich vor das Durcheinander seiner Karteikästen und
Katalogständer gesetzt und die Platte aus dem Gerät genommen. Jetzt drehte er
sie nachdenklich zwischen den Händen.
    Schließlich fing Kerans selber an:
»Tut mir leid, daß ich das mit den drei Tagen gesagt habe. Ich hatte ja keine
Ahnung, daß Sie Hardman nichts verraten hatten.«
    Bodkin zuckte mit den Schultern: »Die
Sache ist ziemlich schwierig, Robert. Da ich ihr einigermaßen auf der Spur bin,
wollte ich jeden möglichen Rückschlag vermeiden.«
    »Aber warum soll er's nicht wissen?«
drängte Kerans; er hoffte immer noch, sein Schuldgefühl wieder loswerden zu
können. »Wenn er hört, daß es losgeht, reißt ihn das doch vielleicht aus seiner
Lethargie?«
    Bodkin schob die Brille bis zur
Nasenspitze und sah Kerans fragend an.
    »Bei Ihnen scheint es diese Wirkung
nicht zu haben, Robert. Sie wirken sehr wenig ›herausgerissen‹. Warum sollte

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