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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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es
ausgerechnet bei Hardman anders sein?«
    Kerans lächelte. »Getroffen, Alan.
Ich will mich ja nicht einmischen, nachdem ich Ihnen Hardman mehr oder minder
in die Hände gespielt habe, aber womit spielen Sie beide eigentlich – ich
meine, wozu dienen das Heizgerät und die Wecker?«
    Bodkin steckte die Platte in einen
Ständer auf seinem Regal. Er sah zu Kerans auf und betrachtete ihn kurze Zeit
schweigend. Kerans merkte, daß ihre bisherigen, rein kollegialen und von keinem
Mißtrauen getrübten Beziehungen mehr und mehr zu einem Verhältnis zwischen
Beobachter und Beobachtetem wurden. Nach einer Weile wandte sich Bodkin ab und
tat, als interessiere ihn plötzlich etwas an der Zettelwand. Kerans mußte ein
Lächeln unterdrücken. Herrgott, sagte er sich, der heftet mich jetzt dort mit
seinen Algen und Nautiloiden an; nächstens wird er mir auch seine Platten
vorspielen.
    Bodkin stand auf und wies auf die
drei Labortische voller Vivarien und Testgläser, auf deren Dampfhauben Zettel
aus Notizblöcken geheftet waren.
    »Sagen Sie, Robert, wenn Sie die
Arbeit des letzten Jahres in einem Satz beschreiben sollten, was würden Sie
sagen?«
    Kerans zögerte mit der Antwort. Er
sah, daß Bodkin Ehrlichkeit erwartete, und suchte seine Gedanken ernsthaft
zusammen.
    »Also, ich würde einfach sagen, daß
Flora und Fauna dieses Planeten auf Grund der Erhöhung von Temperatur,
Luftfeuchtigkeit und Strahlungsstärke wieder die Formen annehmen, die sie
hatten, als zum letzten Mal solche Zustände herrschten – ganz grob gesprochen,
die Verhältnisse des Trias.«
    »Ganz richtig.« Bodkins marschierte
zwischen den Tischen auf und ab. »In den letzten drei Jahren haben wir beide
vielleicht fünftausend Tierproben untersucht, Zehntausende Pflanzenabarten
gesehen. Überall zeigte sich das gleiche Schema – zahllose Mutationen, die den
jeweiligen Organismus so umformten, daß er in der neuen Umwelt bestehen konnte.
Überall war der gleiche Lawinenrutsch in die Vergangenheit – so sehr, daß die
paar Organismen, die sich unverändert erhalten konnten, ausgesprochen anomal
wirken –, ein paar Amphibien, Vögel und der Mensch. Komisch, wir haben die
›Rückreise‹ so vieler Tiere und Pflanzen katalogisiert, aber das wichtigste
Geschöpf auf diesem Planeten haben wir übergangen.«
    Kerans lachte. »Sie schmeicheln uns,
Alan. Wollen Sie damit vielleicht sagen, daß der homo sapiens sich in
den Cro-Magnon-Menschen und Java-Menschen zurückverwandelt und schließlich in
den Sinanthropus? Kaum anzunehmen, finde ich. Das wäre doch nichts als
umgekehrter Lamarckismus.«
    »Stimmt, stimmt. Das meinte ich auch
gar nicht.« Bodkin lehnte sich gegen einen der Tische und fütterte ein
Seidenäffchen in seinem aus einer Dunsthaube gebauten Käfig. »Der Mensch könnte
natürlich ohne weiteres nach zwei- oder dreihundert Jahrmillionen aussterben
und unser kleiner Vetter hier zur höchsten Lebensform der Welt werden.
Biologische Prozesse lassen sich aber nicht ganz und gar reversieren.« Er zog
wieder sein seidenes Taschentuch heraus und wedelte damit vor dem Äffchen hin
und her, das entsetzt floh. »Wenn wir ins Dschungelleben zurückkehren, so
werden wir uns immer noch waschen und unsere Zähne putzen.«
    Er ging zu einem Fenster und sah
durch das Maschengitter hinaus. Dank des Überhangs vom oberen Deck kam hier nur
ein schmaler Streifen intensiven Sonnenlichtes herein. Regungslos lag die
Lagune in der unendlichen Hitze da, Dampf ballte sich über der Wasserfläche.
    »Ich dachte an etwas ganz anderes.
Ändert sich denn nur die äußere Landschaft? Wie oft haben wir alle in letzter
Zeit das Gefühl des déjà vu gehabt, meinten das alles schon einmal
gesehen zu haben! Ja, wir erinnerten uns nur allzugut an diese Sümpfe und
Lagunen. Wie selektiv das menschliche bewußte Denken auch sein mag, die meisten
biologischen Erinnerungen sind doch unangenehmer Art, Widerhall von Gefahr und
Angst. Nichts hält so lange an wie Angstgefühle. Überall in der Natur sieht man
Beweise für die angeborenen Auslösungsmechanismen, die buchstäblich Millionen
Jahre alt sind und in Tausenden Generationen vorhanden waren, ohne je an Kraft
zu verlieren. Das ererbte Bild des Habichts bei der Feldratte ist das
klassische Beispiel dafür – sogar eine Papiersilhouette vor dem Käfig jagt sie
sofort in wilde Flucht. Und wie anders läßt sich die allgemeine und scheinbar
ganz grundlose Abscheu vor Spinnen erklären, von der unseres Wissens nur eine
Spezies

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