Karneval der Alligatoren
stand und in das schäumende
Wasser starrte, und betrachtete dann die spitzen, gespenstischen Gesichter der
anderen Männer. »Sagen Sie mal, Doktor, wie schlafen Sie eigentlich in letzter
Zeit?« Kerans drehte sich um und sah Riggs verwundert an – ob er auf seine
Beziehung zu Beatrice Dahl anspielte? Riggs sah ihn scharf an, ließ die Gerte
zwischen seinen gepflegten Händen hin und her schnellen. »Sehr gut«, antwortete
Kerans bedächtig, »noch nie besser geschlafen. Warum fragen Sie?«
Riggs nickte nur und rief dann
Macready Befehle zu.
2
Kreischend strich eine riesige,
hammernasige Fledermaus aus der Bucht jenseits des Flüßchens geradewegs auf den
Kutter zu. Ihr Radargefühl war durch das Labyrinth riesiger Gewebe von
Wolfsspinnen gestört, beinahe wäre sie knapp über Kerans Kopf an den Draht
gestoßen. Sie segelte weiter, entlang versunkener Bürogebäude, stieß zwischen
dem Blattwerk der Farne auf den Dächern hindurch, kam an anderer Stelle wieder
heraus und verschwand wieder; ein nie endendes Spiel. Als sie an einem
vorstehenden Gesims vorbeikam, schnappte blitzschnell ein bisher
bewegungsloses, wie versteinert aussehendes Maul nach ihr und fing sie aus der
Luft. Ein kurzer, schriller Schrei, dann sah Kerans die zerdrückten Flügel
zwischen den Kiefern der Echse verschwinden. Danach zog sich das Reptil wieder
zurück und wurde eins mit dem Blattwerk ringsum.
Auf ihrer Flußfahrt blickten ihnen
die in den Fensterhöhlen der Büros und Geschäfte hockenden Leguane nach; ruckartig
bewegten sie ihre Köpfe seitwärts. Einige ließen sich ins Kielwasser des
Kutters gleiten, schnappten nach Insekten, schwammen dann wieder durch die
Fenster in ihre Schlupfhöhlen und krochen über die Treppen zu ihren
Ausguckposten – oft lagen drei quer übereinander. Ohne diese Reptilien wären
Lagunen und halbversunkene Bürohäuser in dieser unheimlichen Hitze von fast
traumhafter Schönheit gewesen, aber die Leguane machten die Fantasie zu
grausamer Wirklichkeit. Allein durch ihre Plätze in den ehemaligen
Aufsichtsratsräumen schienen die Reptilien anzuzeigen, daß sie in dieser Stadt
die Herrschaft angetreten hatten. Wieder einmal waren sie zur dominierenden
Lebensform geworden.
Kerans betrachtete die uralten,
unbeweglichen Gesichter; archaische Erinnerungen an die schreckenerregenden
Dschungel des Paläozoikums wurden erneut wach, als die Reptilien den gerade
aufkommenden Säugetieren Platz machten und unüberwindlicher Haß einer
zoologischer Klasse gegen eine andere sie erfüllte, die ihren Platz einnahm.
Der Fluß mündete in die nächste
Lagune, eine kreisrunde, dunkelgrüne Wasserfläche von einigen hundert Metern
Durchmesser. Eine Reihe roter Plastikbojen markierte die Fahrrinne zu einer
Öffnung am anderen Ende. Hinter dem Kutter fielen die Sonnenstrahlen schräg in
die plötzlich enthüllte Tiefe. Umrisse kleinerer Gebäude wurden sichtbar,
moosbedeckte Dächer durchbrachen die Oberfläche, wenn die Flutwelle an ihnen
vorüber war.
Zwanzig Meter unter ihnen zog sich
eine schnurgerade, graue Promenade, Überbleibsel einer früheren Schnellstraße;
rostige Autokarosserien standen noch an ihren Rändern. Viele der Lagunen im
Stadtinneren waren von unzerstörten Gebäudekomplexen umgeben, so daß dort wenig
Treibsand eingedrungen war. Ohne jede Vegetation, mit Ausnahme von ein paar hin
und her treibenden Saragossa-Algen, hatten sich die Geschäfte und die Straßen
fast intakt gehalten, sie wirkten wie das Spiegelbild eines verlorengegangenen
Originals.
Der Großteil der Stadt war seit
langem verschwunden, nur die Stahlbetonbauten des Geschäftsviertels hatten den
einbrechenden Fluten standgehalten. Die Ziegelhäuser und eingeschossigen
Fabriken in den Vororten lagen völlig unter dem Schlamm begraben. Wo sie die
Oberfläche durchstießen, erhoben sich riesige Wälder in den brennenden, stumpfgrünen
Himmel; im gemäßigten Klima Europas und Nordamerikas hatten sie die
Weizenfelder verdrängt, undurchdringliche Matto Grossos, oft bis zu hundert
Metern hoch, bildeten eine Alptraumlandschaft einander bekämpfender,
organischer Lebensformen, die rasch ihrer paläozoischen Vergangenheit
zustrebten. Die einzigen Landwege für die Militäreinheiten der Vereinten
Nationen führten durch die Lagunen, die sich über den früheren Städten gebildet
hatten, und selbst diese wurden jetzt schon durch Sand verstopft und dann
überschwemmt.
Kerans dachte an die vielen grünen
Dämmerstunden auf ihrer
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