Karneval der Toten
Souvenirladen dort drüben.« Er deutete mit einer lässigen Handbewegung hinter Jury.
»Und Mrs. Scott hatte wohl auch einen Plan dabei.«
Marvin blies nachdenklich die Backen auf und überlegte. »Nehme ich an. Wir geben immer einen Plan aus mit dem Anstecker. Aber wenn sie und die Kleine oft hier waren, hat sie sich vielleicht gar keinen mehr mitgenommen.«
»Als Sie sie nicht zurückkommen sahen, haben Sie sich da nicht gewundert?«
»Nein, ich sagte ja gerade, es gibt mehrere Ausgänge.«
»Was heißt, es gibt auch mehrere Eingänge. Wenn man aber zur Straße hinaus will, kommt nur ein Ausgang in Betracht, nämlich der beim Parkplatz.«
»Ja, für die Besucher. Dann sind da natürlich auch noch die anderen Fahrwege für die Bauarbeiter. Und was Sie mehrere Eingänge nennen – theoretisch ja. Aber das macht doch keiner, oder? Dass er sich heimlich reinschleicht. Nicht in einen Park wie Heligan. Ist ja kein Kino oder ein Rolling-Stones-Konzert, oder?«
»Nein.« Jury lächelte.
»Ach, wissen Sie«, seufzte Marvin, »ich bin ja schon von der Polizei befragt worden, und zwar nicht nur einmal.«
»Aber nicht von mir.« Jury hob grüßend die Hand zum Abschied. »Danke für Ihre Hilfe.«
Als Jury das Café betrat, saß Sergeant Platt mit einer Tasse Tee auf einer der Holzbänke.
»Sie haben sie gefunden?«, sagte er.
Jury musste unwillkürlich lächeln. Es klang, als hätte die Grotte die Angewohnheit, den Standort zu wechseln. »Ja. Ich kann allerdings nicht behaupten, dass ich dabei große Erkenntnisse gewonnen hätte.«
»Na ja, der Chef wollte eben, dass Sie sich ein Bild davon machen. Er sagte was von Atmosphäre. Sie sollten sich eben mal umsehen.« Platt runzelte leicht die Stirn, anscheinend wurmte es ihn, dass er nicht die richtigen Worte für das fand, was Macalvie gemeint hatte.
»Er hatte Recht. Ich bin froh, dass ich dort war. Die großen Erkenntnisse kommen mit der Zeit ja hoffentlich noch.«
»Wollen Sie einen Tee oder sonst was?«
»Ich könnte was zu essen vertragen. Vielleicht fahren wir gleich weiter nach Launceston.«
»Gut. Genauer gesagt, nach South Petherwin, das ist ein kleines Dorf kurz vor Launceston. Dort gibt es ein Pub.«
Gut. Ein Pub-Lunch. Jury hatte einen Bärenhunger. Abgesehen von den zehn bis zwölf Tassen Tee hatte er den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen. »In Ordnung.«
7
The Winds of Change lag in dem Dörfchen South Petherwin und war – nach der Größe des Parkplatzes zu urteilen – auf regen Geschäftsbetrieb eingerichtet. Dass so wenig los war, lag vermutlich an der Jahres- oder der Tageszeit. Am anderen Ende des Parkplatzes war eine große Fläche für Ausflugsbusse ausgewiesen. Jury fragte sich, was das Dörfchen für Touristen wohl so anziehend machte.
Brian Macalvie saß bereits an der Theke, trank, rauchte und behielt die Tür im Blick. Als Jury und Platt eintraten, winkte er sie mit großer Geste herüber, als müsste er sie über die Köpfe einer Menschenmenge hinweg ausfindig machen und säße bereits seit Stunden – ja, seit Tagen – hier, um auf die notorisch zu spät Kommenden zu warten.
Jury setzte sich und griff zur Speisekarte. Cody bestellte sich ein Club Soda.
»Was hat denn so lang gedauert?«, fragte Macalvie.
Cody wollte gerade den Mund aufmachen, um zu antworten, aber Jury kam ihm zuvor. »Die meisten Leute sagen einfach ›Hallo, wie geht’s?‹, wenn sie alte Freunde begrüßen. Bei Ihnen kommt immer die Standardbegrüßung ›Was hat denn so lang gedauert?‹«
Macalvie nahm einen Schluck von seinem Bier und starrte Jury ausdruckslos an.
Jury wiederholte es: »Jedes Mal heißt es ›Was hat denn so lang gedauert?‹«
Macalvie wischte sich ein wenig Schaum aus dem Mundwinkel. »Und was war’s ?«
Cody prustete los, so dass ihm sein Club Soda in die Nase geriet. Dann sagte er: »Meine Schuld, Chef. Ich habe ihn in der Gegend herumlaufen lassen.«
»Mich, den alten Tattergreis, auf seine Gehhilfe gelehnt.«
An Cody gewandt sagte Macalvie: »Sie sollten ihm die Stelle zeigen, nicht ihn überall herumstreunen lassen.«
Cody brummte irgendeine lahme Entschuldigung und nahm sein Club Soda mit in den Raum zur Linken, in dem ein Billardtisch stand.
Jury sah sich nach dem Barmann um. »Bin ich froh, dass das hier ein Pub ist. Ich habe einen Bärenhunger.«
»Mittagstisch gibt’s nicht mehr.«
»Na, prächtig.« Als der Barmann kam, bat Jury um ein Pint London Pride und schmiss die Speisekarte achtlos beiseite.
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