Karneval der Toten
Ortsverhältnisse zu merken, wusste aber, dass er überall rechtzeitig hinkäme. Er zog seine Wagentür zu, und nachdem Platt rückwärts aus dem Parkplatz herausgefahren war, lenkte er den Ford Escort auf eine von St. Austells gewundenen Hügelstraßen.
Jury sagte: »Er glaubt also, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Verbrechen gibt?«
»Dem Verschwinden der kleinen Flora und diesem Mord hier? Ja, das glaubt er.«
»Und was glauben Sie?«
Platt schien etwas überrascht, dass seine Meinung gefragt war. »Ob ich glaube, das gehört alles zu einem einzigen Fall? Ja, schon. Diese Frau, die ermordet wurde, war früher schon mal in Angel Gate – das ist der Landsitz der Scotts. Anscheinend war sie eine Freundin von Mary Scott. Oder eine Bekannte. Wahrscheinlich eher eine Bekannte.«
»Könnte der Ehemann das denn nicht klarstellen?«
»Der kennt – beziehungsweise kannte – die Tote gar nicht. Hat sie einmal mit seiner Frau zusammen in London gesehen, sagt er, weiß aber nicht, wer sie war.«
»Hm.« Jury lehnte sich zurück und betrachtete schläfrig die recht freundliche, aber nicht sehr beeindruckende Landschaft. Das Besondere an Cornwall war aber ja die Küste, oder? Und nicht das Landesinnere.
Kurz darauf fuhren sie auf den weitläufigen Parkplatz der Gartenanlage von Heligan, wo Autos und Busse mittels Hinweisschildern in die richtigen Parkbereiche dirigiert wurden. Jury war froh, dass es nicht Sommer war, sonst würden sich hier Ausflugsbusse und Menschenmengen drängen. Es standen nur wenige Autos da. Platt parkte neben einem grauen Plymouth.
Sie waren ausgestiegen und blieben neben dem Wagen stehen.
»Die Mutter starb also, kurz nachdem die Tochter verschwunden war?«
Sergeant Platt nickte. »Ein halbes Jahr später. Sie war erst neununddreißig.«
»Woran ist sie gestorben?«
Platt sah auf dem Parkplatz umher, als hoffte er, Mary Scott würde aus dem alten grauen Plymouth neben ihnen steigen, aus dem Morris Minor oder dem schnittigen schwarzen BMW. »An gebrochenem Herzen, würde mich nicht wundern.« Er sah Jury traurig an. »Aber es heißt ja, daran kann man nicht sterben, oder?«
Sein bekümmerter Blick war beunruhigend. Jury legte Platt die Hand auf die Schulter. »Glauben Sie das bloß nicht, Sergeant. Sie kannten sie also?«
»Ja. Ich hielt Kontakt, wissen Sie. Ich kannte Mary – äh, Mrs. Scott – ziemlich gut. Und Flora auch.«
Jury beobachtete sein Gesicht. »Sie hatten die beiden gern.«
Platt nickte wortlos und blickte über den Parkplatz hinweg.
Jury sagte, er würde sich diese Kristallgrotte gern allein ansehen, falls Platt nichts dagegen hätte. Im Gegenteil, der Sergeant schien erleichtert, dass er Jury nicht begleiten musste. Er würde im Café neben dem Souvenirladen auf ihn warten, sagte er. Er könne eine Tasse Tee vertragen, meinte er, und Jury musste an Wiggins denken, der am nächsten Tag ebenfalls herkommen sollte.
Er ging zu einem Kiosk hinüber, wo es die Eintrittskarten zu kaufen gab. Der junge Bursche, der dort herumhantierte, sah ihn erstaunt an, als Jury seinen Dienstausweis hervorzog, und schien schwer beeindruckt.
»Ich brauche einen Plan von der Parkanlage. So was haben Sie ja sicher hier. Ich suche die Kristallgrotte – ich glaube, so heißt sie.«
Der Kartenverkäufer gab ihm einen Lageplan und beschrieb ihm kurz den Weg. »Und Sie haben ja Ihren Plan...« Er sah Jury an, als könnte er nicht recht glauben, dass dieser nicht gleich auf einem fliegenden Teppich dorthin expediert, sondern selbst seinen Weg finden würde. Seltsam.
Den Plan an die Stirn haltend, grüßte Jury ihn zum Abschied und ging.
Ein üppiger Rhododendron, der Jury um ein Zehnfaches überragte, markierte den Eingang zum nördlichen Gartenbereich. Hier drinnen auf dem Fußweg herrschte Stille, tiefe Stille, die aus den einstigen Trümmern des Parks bewahrt zu sein schien. Als er sah, wie sich das Sonnenlicht im Astwerk der Bäume fing, fiel ihm plötzlich wieder die Freundin seiner Mutter ein, eine Aquarellmalerin, die später erblindet war. Er erinnerte sich, wie er mit ihr in dem kleinen Park auf der gegenüberliegenden Straßenseite ihres Reihenhauses gesessen hatte. Etwas weiter unten erspähte er durch das Gitterwerk aus ineinander verschlungenen Zweigen die Statue eines kleinen Mädchens auf Zehenspitzen, das im Moment der Ausführung von einer dieser schwierigen Ballettfiguren festgehalten schien, und musste unwillkürlich an Elicia Deauville denken – an sie oder
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