Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Grimes
Vom Netzwerk:
aber an die fälschliche Erinnerung, wie sie offenbar in dem Reihenhaus nebenan getanzt hatte, neben dem Zuhause seiner Kindertage. Seine Cousine hatte diese Erinnerungen jedoch fast vollständig zerstört, sie entwertet oder bestenfalls fragwürdig werden lassen – Erinnerungen, die man hervorzerrte und dem Tageslicht aussetzte, um zu sehen, wie echt sie waren. So wie jene Zeit in Devon während der Kriegszeit, der Strand, die kaputten Zäune, das Mädchen mit dem rötlichgelben Haar. Oh, dieses Mädchen musste es doch einfach gegeben haben – wie es mit seinem Spott und seinen Hänseleien sämtlichen kleinen Jungs überlegen war. Ihr Haar, ihr flammendes Haar – das war doch bestimmt echt gewesen. Ihm war, als käme er plötzlich nur ruckartig voran, als stolperten, taumelten seine Gedanken zwischen diesen unerquicklichen Szenen hin und her beim Versuch, das Gleichgewicht zu halten. Ja, dachte er unvermittelt: So war es, das Leben – man versuchte immerzu das Gleichgewicht zu halten.
    Er ging diesen Gedanken nach, ohne für einen Moment stehen zu bleiben. Er hatte nicht einmal seinen Schritt verlangsamt, sondern war in gleichmäßigem Tempo weitergegangen. Außer ihm war niemand unterwegs. Jurys Füße knirschten einsam auf dem Kies. Außer einem Vogel irgendwo über ihm in der Luft war kein Laut zu hören.
    Nach fünf Minuten kam er plötzlich an eine abwärts führende Treppe. Moos bedeckte die Stufen, weich und ein wenig rutschig. Die Kristallgrotte lag am Fuß dieser Stufen, und vor dieser kleinen Höhle, hatte Platt gesagt, war Flora Scott von ihrer Mutter zum letzten Mal gesehen worden. Er fragte sich, ob Flora hineingegangen war, um sich die Grotte anzusehen, die der Beschreibung nach recht romantisch war. In die Decke waren kleine Kristallstücke eingelassen, und früher, in der Blütezeit des Parks, hatten die Besitzer offenbar überall Kerzen aufgestellt, damit sich deren Licht in den Kristallen widerspiegelte.
    Mary Scott war anscheinend damals vorausgegangen, und das Buschwerk musste ihr wohl die Sicht auf die Grotte versperrt haben. Wenn es aber nur ein paar Minuten gedauert hatte, bis ihr auffiel, dass Flora nicht hinter ihr herkam, musste die Kidnapperin (Jury stellte sich vor, dass es eine Frau war) ihnen heimlich gefolgt sein und sehr rasch gehandelt haben. Jury konnte sich nicht vorstellen, dass diese Person sie genau hier hatte abpassen können, denn die Gärten von Heligan waren weitläufig, und sie hätte ja nicht wissen können, dass Mary und Flora diesen Weg nehmen würden.
    Er oder sie (vielleicht war es ja doch ein Mann) hätte aber wissen können, dass die beiden oft hierher kamen. Dann wäre es vielleicht kein Zufall gewesen, was darauf hindeutete, dass es jemand war, der sie gekannt hatte und es auf Flora abgesehen hatte und nicht auf irgendein beliebiges kleines Mädchen. Falls es aber Viktor Baumann war – wie hätte er die Kleine die letzten drei Jahre lang verstecken können? Am Schauplatz eines drei Jahre zurückliegenden Verbrechens gab es nichts mehr zu sehen. Wenn es überhaupt ein Verbrechen gewesen war.
     
    Er hieß Marvin Griswold und arbeitete bereits seit über vier Jahren in unterschiedlichen Funktionen hier. Der Verkauf von Eintrittskarten war nur eine davon.
    »Schwierig, sich so weit zurückzuerinnern, drei Jahre, ich meine, sich genau an die Tatumstände zu erinnern«, beantwortete Marvin Griswold Jurys Frage nach Flora Scotts Verschwinden. »Klar erinnere ich mich an die Sache. Stand ja schließlich in allen Zeitungen. Es war ganz schön aufregend. Noch ein halbes Jahr später kam man kaum durch bis zur Kristallgrotte. So sensationslüstern, wie manche Leute sind, nicht? Aber ob ich mich erinnern kann, sie und ihre Mutter an dem betreffenden Tag gesehen zu haben? Nein, kann ich nicht. Da war bestimmt jemand anderes im Kiosk, als sie kamen.«
    Er klang ein wenig ungehalten, so als hätte jemand anderes damals den ganzen Spaß gehabt.
    Jury dachte an den Lageplan des Parks. »Kommt jeder am Eingang an Ihrem Kiosk vorbei? Um eine Eintrittskarte zu kaufen?«
    »Ja. Es ist eigentlich keine Eintrittskarte, sondern so eine Anstecknadel.« Er hielt ein kleines Metallplättchen hoch, das die Besucher sich an Jackett oder Mantel hefteten.
    »Auch wenn die Leute den Park wieder verlassen?«
    Griswold schüttelte den Kopf. »Nein, außer sie gehen den gleichen Weg wieder zurück. Aber wahrscheinlich nehmen sie eher einen von den anderen Fußwegen, zum Beispiel den hinter dem

Weitere Kostenlose Bücher