Karparthianer 02 Dunkle Macht des Herzens
nicht los, sodass sie gezwungen war, mit ihm zur Hütte zu laufen.
Gregori stieß Slovenskys Leichnam mit einem Fußtritt aus dem Weg. »Hör zu, Shea. Wir müssen es zusammen versuchen.
Raven hat die Funktionen ihres Körpers so weit wie möglich stillgelegt. Mikhail hält sie und das Kind am Leben, aber sie ist sehr schwach, und das Kind hat Probleme. Du kümmerst dich um Ravens Verletzungen, und ich rette das Kind.«
Shea war fassungslos. »Sie ist noch am Leben?« Sie versuchte, vor Gregori zurückzuweichen. »Ich kenne nur die Art Medizin, die bei Menschen üblich ist. Ich weiß nichts darüber, wie du heilst. Ich könnte sie umbringen.«
»Es ist in dir. Zum Heiler wird man nicht durch ein Studium, man ist dazu geboren. Du kannst es. Ich werde dich instruieren. Wir haben keine Zeit zum Streiten, Shea. Ich schaffe es nicht allein. Mikhail sagt, dass Raven das Kind innerhalb weniger Minuten verlieren wird. Sie muss ihr Herz und ihre Lungen weiterarbeiten lassen, aber sie verliert all ihr Blut. Und das wäre für sie alle das Ende. Raven, das Kind, Mikhail - wir werden sie alle verlieren«, bemerkte er eindringlich. Seine Augen sahen sie herausfordernd an. »Machst du das mit mir zusammen?«
Shea zitterte, aber sie hob entschlossen das Kinn.
»Erklär mir, was ich tun muss!«
Gregori nickte anerkennend. »Du musst alles ausschließen, was du bist. Alles. Du bist Licht und Energie, mehr nicht. Wenn du dich selbst als Licht siehst, kannst du in Ravens Körper eintreten und die 417
schlimmsten Wunden suchen. Heile sie von innen heraus. Das Wichtigste ist zunächst, die Blutungen zu stillen und dann die Schäden an lebenswichtigen Organen zu reparieren. Es ist sehr schwierig, und du bist geschwächt. Irgendwann wirst du Nahrung brauchen.
Wenn Jacques mit dem, was er zu tun hat, fertig ist, wird er zurückkommen und dich mit Nahrung versorgen. Du darfst uns nicht im Stich lassen, Shea. Ich weiß, du kannst es schaffen. Wenn du meine Hilfe brauchst, bin ich bei dir.«
Es war sinnlos, ihn daraufhinzuweisen, dass sie sich unmöglieh in Licht und Energie verwandeln konnte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als es zu versuchen. Gregori glaubte, dass sie es konnte, und darauf musste sie auch vertrauen. Sie schuldete Raven und dem Kind eine Chance zu leben. Außerdem war sie in erster Hinsicht immer noch Ärztin. Es lag in ihrer Natur, andere zu heilen.
»Wir machen es zusammen«, sagte Gregori mit einer Stimme, die wie kühler, lindernder Balsam auf das Chaos in Sheas Innerem wirkte. Sie konnte spüren, wie sie auf diesen wunderschönen Klang ansprach, auf die sanfte Melodie und die Reinheit der Töne. Shea sank neben Ravens reglosem Körper auf den Boden, schloss die Augen und suchte in ihrem Inneren einen Ort der Ruhe, wo sie Kraft schöpfen konnte. Anfänglich schien alles von außen einzudringen, aber irgendwie war Gregori bei ihr und zeigte ihr, wie sie ihre Gedanken ordnen und neu konzentrieren konnte. Zuerst schienen sich Haus und Zimmer aufzulösen, dann Raum und Zeit. Ihr Herz klopfte laut bei diesem seltsamen Gefühl, doch Gregoris sanfte, beschwörende Worte ermöglichten ihr, die Ruhe 418
zu bewahren und über dem irdischen Chaos zu schweben. Allmählich verblasste ihr Körper und rückte mehr und mehr in den Hintergrund, bis alles, was von ihr blieb, ihre Seele war. Licht und Energie. Reine Kraft.
»Wir gehen zusammen. Richte deine Aufmerksamkeit auf Raven und ihre Verletzungen. Du darfst weder an dich noch an das, was geschehen könnte, denken. Glaub an dich. Wenn du unsicher wirst, nimm Verbindung zu mir auf.« Gregoris Licht schien ihre Seele mit Zuversicht und Wärme zu erfüllen.
Sie fand nur den Heiler in ihm. Alles andere war beiseite geschoben worden. In ihm waren so viel Selbstlosigkeit und eine so große Reinheit der Seele, dass Shea nur staunen konnte. Vorbehaltlos vertraute sie sich seiner Führung an. Er war der Inbegriff all dessen, wonach sie immer gestrebt hatte: ein wahrer Heiler, mit einer so seltenen und wertvollen Begabung, dass sie sich in seiner Gegenwart sehr demütig fühlte. Erst später würde sie sich daran erinnern, dass Gregori einer vom alten Stamm und sehr mächtig war und jeden dazu bringen konnte, das zu sehen und zu glauben, was er, Gregori, wollte.
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Kapitel 15
Shea schien über Ravens Körper zu schweben. Ihr ganzer Blickwinkel verengte sich, bis sie nur noch die Frau sah, die so still auf dem Boden lag. Zuerst schien es, als wäre Raven tot, als hätte
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