Karpfen, Glees und Gift im Bauch
dies immer wieder vor Augen! Es geht ums Überleben. Sie müssen schneller, besser und schlauer sein, als Ihre Feinde und Mitwettbewerber, sonst werden Sie nicht bestehen in dieser Welt.«
Isaac Wolfram Haberlander hatte sich an seiner Rede selbst berauscht und hing nun am Wasserglas, welches er in einem Zug leerte. Es war mucksmäuschenstill im Seminarraum. Die Teilnehmer guckten betreten. Verona Hinterbichler himmelte Herrn Haberlander bewundernd an. Was für ein Mann! Ein animalischer Wilder, der Moschusgeruch verbreitete. Ein Mann wie Sitting Bull, der berühmte Häuptling der Sioux. Sie stellte sich vor, wie Isaac Wolfram Haberlander in wilden Zuckungen seines athletischen Körpers ekstasisch um das Lagerfeuer tanzte und dabei tierische Schreie ausstieß. Brunftschreie! In ihrer Phantasie sah sie, wie er auf sie zukam, sie bei der Hand ergriff und sie in seinen Wigwam führte. Dann ließ er sich in den Schneidersitz nieder, wobei sein Lendenschurz etwas verrutschte. Was für ein Mann!
»Frau Hinterbichler!? …. Frau Hinterbichler!?« Wie durch einen dichten Nebel hörte sie, wie ihr Name gerufen wurde. »Ja, Herr Sitting B… , äh, ja, Herr Haberlander?«
»Ich bin mit meiner Einführung nun fertig« – Verona Hinterbichler hörte nur »Einführung« und bekam glasige Augen – »und würde jetzt in die praktische Einweisung und Handhabung der Langbögen gehen wollen. Deshalb schlage ich vor, die Seminarteilnehmer entledigen sich ihrer dunklen Anzüge – pardon, Frau Baum, ihres Kostümes – und kleiden sich in ein sportliches Outfit. Ihre Laptops, meine Dame, meine Herren, nehmen Sie mit auf Ihre Zimmer. Die möchte ich in den nächsten beiden Tagen gar nicht mehr sehen. Bedenken Sie, dass wir heute bis circa 22 Uhr draußen beschäftigt sein werden. Das Kamingespräch verschiebt sich auf 22Uhr 30. Geeignete Kleidung ist angesagt. Wir machen nun eine kurze Pause von zwanzig Minuten und treffen uns wieder alle gemeinsam hier im Seminarraum F.«
»Ein exzellenter Vorschlag, Herr Sitting B… , äh, Herr Haberlander!«, hauchte Verona Hinterbichler. »Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?«
Schloss Weissenstein
Schloss Weissenstein, in dessen weitläufigen Parkanlagen fünfundzwanzig junge Manager der Münchner Weltfirma mit Pfeil und Bogen Jagd auf imaginäre Feinde machten, liegt nur circa einundzwanzig Kilometer nord-nord-westlich von Röttenbach. Die mächtige Schlossfassade hing in diesen frühen Morgenstunden im dichten Morgennebel, der von den Feuchtwiesen rund um die Anlage aufstieg. Die Nacht war kühl gewesen, und obwohl die Sonne am blauen Himmel erstrahlte, lagen die Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt und hatten die angenehme Wärme des Vortages rasch verdrängt. Das Wetter sollte sich sowieso ändern. Für den Nachmittag war Regen angesagt. Tau hing auf den Grasflächen des Parks, der im 19. Jahrhundert von einem barocken Schlossgarten in einen englischen Landschaftspark umgebaut wurde. Spinnennetze wurden in den blattlosen Sträuchern sichtbar, da sie ebenfalls mit winzigen Tautropfen behängt waren. Die barocke Schlossfassade thronte einsam und verlassen auf einem kleinen sanften Hügel. Die Touristenströme des Sommers waren längst verflogen. Nur hie und da schlich sich ein Jungmanager ungeschickt durch das Unterholz des Parks, trat auf trockene, dürre Äste und Zweige, dass es nur so knackte, und hielt nach wilden Tieren Ausschau. Lothar Franz von Schönborn, ehemaliger Fürstbischof von Bamberg und Kurfürst von Mainz, hatte von 1711 bis 1718 die Schlossgebäude im barocken, fränkischen Stil errichten lassen. Der Innenausbau dauerte dann nochmals weitere zehn Jahre. Kein Wunder, der Grottensaal, der Marmorsaal, das Spiegelkabinett und das großzügig angelegte Treppenhaus wurden seinerzeit von den berühmtesten Künstlern angelegt. Gemälde von Breughel, Dürer, van Dyck, Rubens und Tizian sind auch heute noch im Schloss zu besichtigen. Gleich hinter der Ummauerung der Schlossanlage drückte sich das kleine Dörfchen Pommersfelden in den Schatten des Schlosses, als wollte es sich in dessen Glanz und Prunk verstecken und nicht gesehen werden.
Verona Hinterbichler stand in der Nähe der Schlossgaststätte und genoss ihre Zigarette nach einem ausgiebigen Frühstück. Ihre Schützlinge waren bereits schwer bewaffnet ausgezogen und schlichen mit Isaac Wolfram Haberlander durch den feuchten Schlosspark. Sie unterhielt sich mit Joern F. Stenz, dem Leiter der Business Unit
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