Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
frei war -frei zu sein vom Arbeitsalltag mit seinen festgelegten Tagesabläufen. Mit meinen Ersparnissen, so hatte ich mir ausgerechnet, konnte ich mir dies auch einige Zeit leisten. Sicher war nur, dass ich den Jakobsweg gehen würde, sobald ich aufhören würde zu arbeiten.
Seltsamerweise machte mir meine Arbeit in den folgenden Monaten wieder sehr viel Spaß, vieles klappte leichter als vorher. Woran lag das? Sicherlich, weil ich damit aufgehört hatte, mich ständig in Frage zu stellen, alles in Zweifel zu ziehen. Ebenso war ich mir trotz der Unruhe bezüglich meiner beruflichen Zukunft immer sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ich bereute nichts, im Gegenteil, ich empfand pure Lebensfreude.
Die Weisheit von Andre Gidé »Man entdeckt keine neuen Weltteile ohne den Mut zu haben, alle Küsten aus den Augen zu verliere« drückte meinen Seelenzustand aus. Ich hatte den Mut gehabt, meinen sicheren Boden unter den Füßen zu verlassen, ohne zu wissen, was kommt. Aber wie jeder Entdecker, so dachte ich, würde ich auf etwas stoßen, etwas Neues, Unbekanntes, aber bestimmt auch etwas Spannendes und Lohnendes. Später haben mir viele, nicht nur jene aus meiner engsten Umgebung, Bewunderung für diesen Mut entgegengebracht. Mehr noch, ich spürte sehr viel Respekt, das wiederum verlieh mir noch mehr Mut und Entschlossenheit. Etwas Anderes, etwas sehr Wesentliches, gab mir ebenso die tiefe Zuversicht, dass ich das Richtige tat. Es war mein Glaube. Ich wusste, ich bin nicht allein, Gott ist da, bei mir, in mir und gibt mir die Kraft, alle Antworten auf meine Fragen zu finden.
Ein Geschenk für meinen Mut zu neuen Ufern aufzubrechen, bekam ich übrigens sehr schnell. Bis heute verstehe ich rein rational nicht, warum ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, in der Situation. In der gleichen Woche, in der ich kündigte, begegnete ich dem Mann, der heute mein Mann ist. Verrückt, total verrückt. Die Umstände unseres Kennenlernens, das Wie, alles war schon ungewöhnlich.
Wie es unter Frauen üblich ist, müssen die besten Freundinnen von allen wichtigen Entscheidungen sofort in Kenntnis gesetzt werden. Ich bin da nicht anders gestrickt. Allerdings habe ich mich doch in einem Punkt zurückgehalten, meine »alten« Freundinnen aus meiner Heimatstadt band ich nicht ein, nicht weil ich sie nicht für vertrauenswürdig hielt, sondern weil alle auch eine Nähe zu meiner Familie dort haben und ich sie nicht in eine Zwickmühle bringen wollte. Denn mir war klar, dass mein Bruder zunächst Stillschweigen bewahren wollte. Meinen Freundinnen aus Münster, Susanne, Larina und Anne, erzählte ich natürlich die Neuigkeiten. Freunde sind wichtig, vor allem wenn man keine eigene Familie hat. Sie haben meist einen anderen Blickwinkel als die Herkunftsfamilie, vieles wird dadurch anders eingeordnet. Deswegen bedeutete mir das Feedback, die Reaktion auf meine Entschlüsse, seitens meiner engsten Vertrauten sehr viel.
Larina erreichte ich erst nach zwei Tagen telefonisch, eigentlich hatte sie auch an diesem Dienstagabend keine Zeit. Sie hatte vor kurzem eine spirituelle Ausbildung begonnen und gerade an diesem Abend traf sie sich mit einem ihrer Kollegen in unserer damaligen kleinen Stammkneipe, dem »Rabenschwarz« um die Ecke. Sie lud mich ein, dazu zu kommen, wenn mich die Anwesenheit von Gu, so sein Name, nicht stören würde. Es störte mich überhaupt nicht, besser gesagt, es war mir sogar egal, ob dieser Wildfremde dabei sitzen würde. Er kannte mich nicht, ich ihn nicht, sollte er doch zuhören, wenn er denn wollte, es interessierte mich in dieser Situation sowieso nicht. Als ich dann in das »Rabenschwarz« eintrat, saßen die beiden schon dort. Larina stellte uns kurz vor. Ohne ihn danach großartig zu beachten, sprudelten die Ereignisse der vergangenen Tage nur so aus mir heraus. Ich ließ keinen meiner gefassten Vorsätze aus, nicht einen einzigen. Larina, aber auch Gu, hörten interessiert zu. Larina, wie später auch meine anderen Freunde, unterstützte mich vorbehaltlos in meinen Plänen und freute sich mit mir, ja, sie bestärkte mich sogar. Irgendwann meldete sich auch Gu zu Wort und meinte, er würde meinen Mut sehr bewundern und er freue sich, dass er an meiner Geschichte hätte teilhaben dürfen.
Noch ungefähr eine halbe Stunde plauderten wir über alles Mögliche, der Abend war kurzweilig und lustig. Gu fand ich sympathisch. »Netter Typ«, dachte ich mir. Als Mann nahm ich ihn an diesem Abend eigentlich
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