Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
fühlte mich als Teil von Gott und empfand eine Energie, die mich durchflutete und die ganze Woche über begleitete.
Am Ende des Seminars bekam jeder Teilnehmer von Sita einen Satz geschenkt, der die jeweilige Lebensaufgabe beschreiben sollte. Dieser Satz bewegte mich sehr: Wahrheit und Frieden so in mir in Einklang zu bringen, dass ich damit die Herzen anderer Menschen berühre. »Was bedeutet er eigentlich?«, fragte ich mich. Für mich sagte er aus, dass ich meine eigene Wahrheit finde, Erkenntnisse in mir suchen und reifen lasse, sie in Übereinstimmung mit mir selbst bringe. Darüber hinaus Harmonie und Ausgleich im persönlichen Inneren zu erlangen, um inneren Frieden zu verspüren. Wahrheit und Frieden, zwei wunderbare und sehr erstrebenswerte Ziele, so in sich selbst in Einklang zu bringen, also mit sich selbst im Reinen, im Konsens zu sein, um damit als wahrhaftiger, authentischer, in sich ruhender Mensch andere Menschen zu berühren.
Die Aufgabe drückte für mich auch noch eine weitere wichtige Erkenntnis aus: Der innere Wachstumsprozess muss mit dem äußeren Sein und Tun konform gehen. Ich kann nicht im Inneren in Harmonie bleiben, wenn meine Wünsche, Ziele und Visionen im Außen keine Entsprechung finden. Auch heute denke ich, dass in diesem Satz genau die Wahrheit für mein Leben liegt, die ich gesucht habe. Ich habe sie zwar immer noch nicht vollständig gefunden, aber ich bin ihr ein sehr, sehr großes Stück näher gekommen.
Im Februar, nach den großen Stoffmessen, wurde die Entscheidung meiner Kündigung den Mitarbeitern und Kollegen mitgeteilt. Es gab keine einheitliche Reaktion, wie auch, die Menschen und ihre Empfindungen sind verschieden. Eines wurde mir aber deutlich entgegengebracht: Verständnis und Respekt. An meinem letzten Tag, während einer kleinen Abschiedsfeier, kam dies ganz besonders zum Ausdruck. Ich bekam ein Bildobjekt von der Künstlerin Susanne Hegmann sowie ein liebevoll gestaltetes Erinnerungsalbum geschenkt. Alle Abteilungen hatten sich an dem Album beteiligt. Auf vielen Seiten waren darin Wünsche für meine Zukunft in Weisheiten, Gedichten und Texten zum Ausdruck gebracht worden. Was mich am meisten berührte, sie hatten sich mit mir als Menschen auseinandergesetzt, sich mit meinen Motiven beschäftigt und auch meinen Abschied für mich als Start in einen neuen Lebensabschnitt begriffen. Sie verstanden, wie schwer mir dieser Schritt trotz allem fiel, dass ich nicht nur in eine neue, ungewisse Zukunft ging, sondern auch, dass ich quasi meine Familie verließ, und sie machten mir deshalb Mut. Eine der vielen Weisheiten lautete: »Viele Wege führen zum Ziel, aber nur dein eigener Weg führt dich ins Glück.« Ich sehe noch heute die Gesichter vor mir. Neugierde, Anerkennung, Zuneigung, Wohlwollen, aber auch Skepsis und Verwunderung spiegelten sich auf den Gesichtern wider. Viele kannten mich schon eine Ewigkeit. Schon als Teenager hatten meine Geschwister und ich in den Ferien in der Firma gejobbt, andere waren mit mir zur Schule gegangen. Es war ein sehr persönlicher Abschied und deshalb ging ich nicht nur traurig, sondern auch glücklich und zufrieden nach Hause. Etwas ganz Entscheidendes verstand ich an diesem Tag aber auch. Es war nicht wichtig, was Menschen, die mich nur von außen wahrnahmen und oberflächlich kannten, über mein Ausscheiden aus dem Familienunternehmen spekuliert und vermutet hatten und welche falschen Schlussfolgerungen sie daraus gezogen hatten. Es war nur entscheidend, was die Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung dachten. Sie hatten meine Kündigung als das wahrgenommen, was sie war. Es war überflüssig, an die in der Fachpresse im März veröffentlichte negative Berichterstattung über mein Ausscheiden überhaupt einen Gedanken zu verschwenden. Sie war es nicht wert, negative Gefühle in mir hochkommen zu lassen. Die, die meine Familie und mich kannten, wussten, dass nichts Negatives zwischen uns vorgefallen war.
Einen Monat später wollten wir aufbrechen und uns auf unsere Pilgerreise begeben. Wir, das waren Gu und ich. Irgendwann im Laufe des Frühjahres hatte er gefragt, ob er mitkommen könne. Zunächst war ich skeptisch, was sollte ich antworten, eigentlich wollte ich den Weg doch alleine gehen. Fairerweise muss ich aber zugeben, dass mein Respekt vor dieser Unternehmung mit den zunehmenden Reisevorbereitungen und dem sich nahenden Reisedatum immer mehr wuchs. Die Tragweite des Pilgerns wurde mir immer mehr bewusst. Deshalb wies
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