Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
hinterlegt. Er wollte nicht eingeäschert,
sondern auf herkömmliche Weise beerdigt werden. »Ich habe den Wunsch, dass mein
Skelett von Würmern freigelegt wird«, hatte er angegeben und sich in dem
ansonsten eher in bürokratischem Stil verfassten Text eine persönliche
Anmerkung erlaubt: »Ich habe immer eine ausgezeichnete Beziehung zu meinem Skelett
unterhalten und freue mich darüber, dass es sich von seiner Hülle aus Fleisch
lösen kann.« Er wünschte, auf dem Friedhof Montparnasse beerdigt zu werden, und
hatte schon im Voraus ein dreißigjähriges Nutzungsrecht an einer einfachen Grabstätte
erworben, die zufällig ein paar Meter von Emmanuel Boves Grab entfernt lag.
Jasselin und Ferber waren beide ziemlich gut in Beerdigungen.
Ferber mit seinen abgezehrten Zügen, seiner blassen Gesichtsfarbe und seiner im
Allgemeinen dunklen Kleidung fiel es nicht schwer, die bei solchen
Gelegenheiten erforderliche Trauer und Würde zur Schau zu stellen, und
Jasselins erschöpfte, resignierte Haltung eines Mannes, der das Leben kennt und
sich keinen allzu großen Illusionen mehr hingibt, war ebenfalls durchaus
angemessen. Sie hatten im Übrigen schon an ziemlich vielen Beerdigungen
gemeinsam teilgenommen, bisweilen an Beerdigungen von Opfern, meistens aber an
solchen von Kollegen: Manche hatten Selbstmord begangen, andere waren in der
Ausübung ihres Dienstes umgekommen – und deren Begräbnisse waren besonders
eindrucksvoll, denn im Allgemeinen war die Zeremonie mit der Verleihung eines
Ordens verbunden, der feierlich in Anwesenheit eines hohen Staatsbeamten oder
gar des Innenministers an ein auf dem Sarg ruhendes Samtkissen geheftet wurde –
kurz gesagt, eine Feier mit allen Ehren der Republik.
Sie trafen sich um zehn Uhr im
Kommissariat des 6. Arrondissements; von den Fenstern des Empfangssaals des
Gemeindeamts aus, den man ihnen zu diesem Anlass aufgeschlossen hatte, hatten
sie einen sehr guten Blick auf die Place Saint-Sulpice. Zur Überraschung aller
war bekannt geworden, dass sich der Autor der Elementarteilchen , der sein ganzes Leben lang einen kompromisslosen
Atheismus vertreten hatte, sechs Monate zuvor in einer Kirche in Courtenay
unauffällig hatte taufen lassen. Diese Nachricht befreite die Kirchenbehörden
aus einem unangenehmen Dilemma: Aus einleuchtenden Gründen der
Medienwirksamkeit legten sie großen Wert darauf, nicht von der Bestattung von
Personen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen zu sein. Doch die ständige
Zunahme des Atheismus und die tendenziell rückläufige Taufrate – trotz einer
nicht unerheblichen Anzahl von Taufen aus reiner Konvention – sowie das rigide
Festhalten der Kirche an überkommenen Regeln führten immer öfter zu diesem für
sie entmutigenden Ergebnis.
Der Erzbischof von Paris, der per
E-Mail benachrichtigt worden war, gab begeistert seine Zustimmung zu einer
Messe, die um elf Uhr stattfinden sollte. Der Kardinal beteiligte sich
persönlich an der Ausarbeitung der Predigt, die die universelle humanistische
Tragweite der Werke des Schriftstellers hervorhob und nur sehr diskret,
gleichsam als Koda , seine heimliche Taufe in einer Kirche in Courtenay erwähnte. Die
Totenmesse würde einschließlich der Heiligen Kommunion und sonstiger
grundlegender Riten etwa eine Stunde dauern; gegen Mittag sollte Houellebecq
also zu seiner letzten Ruhestätte geleitet werden.
Auch in dieser Hinsicht, teilte ihm
Ferber mit, hatte der Schriftsteller genaue Anweisungen hinterlassen, er hatte
sogar eine Zeichnung seines Grabmals angefertigt: eine schlichte Platte aus
schwarzem Basalt in Bodenhöhe. Er hatte ausdrücklich verlangt, dass sie auf
keinen Fall den Erdboden überragen dürfe, nicht einmal um wenige Zentimeter.
Auf der Grabplatte waren nur sein Name, ohne Daten oder sonstige Hinweise,
sowie ein Möbiusband eingemeißelt. Er hatte sie vor seinem Tod von einem
Pariser Steinmetz anfertigen lassen und die Ausführung persönlich überwacht.
»Mit anderen Worten«, sagte
Jasselin, »ein verdammt eingebildeter Kerl.«
»Da tust du ihm unrecht«, erwiderte
Ferber leise. »Er war kein schlechter Schriftsteller, weißt du.«
Jasselin schämte sich sofort für diese
Bemerkung, die er ohne wirklichen Grund geäußert hatte. Was Houellebecq für
sich selbst getan hatte, war nicht mehr, ja eher weniger als das, was jeder
x-beliebige Großbürger des 19. Jahrhunderts oder jeder kleine Adlige der
vorhergehenden Jahrhunderte getan hätte. Bei weiterem Nachdenken wurde ihm
plötzlich
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