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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Ferber. Von der äußeren Erscheinung her –
er war füllig und adrett –, konnte man sich kaum zwei unterschiedlichere
Menschen vorstellen, aber er besaß genau wie Ferber die für einen
Polizeibeamten seltene Eigenschaft, Vertrauen
einzuflößen , und daher entlockte er den
Leuten ohne sichtliche Mühe die intimsten Dinge. Er hatte es an jenem Morgen
übernommen, die nächsten Angehörigen des Opfers zu benachrichtigen und zu
befragen.
    »Wenn man überhaupt von Angehörigen
sprechen kann«, präzisierte er. »Man muss sagen, dass er sehr einsam gelebt
hat. Zwei Scheidungen und ein Kind, das er aus den Augen verloren hatte. Er
hatte seit über zehn Jahren keinerlei Kontakt mehr zu seiner Familie.
Liebesbeziehungen hatte er offensichtlich auch nicht. Vielleicht erfahren wir
etwas mehr, wenn wir seine Telefongespräche auswerten, aber bisher habe ich nur
zwei Namen gefunden: Teresa Cremisi, seine Verlegerin, und Frédéric Beigbeder,
einen anderen Schriftsteller. Und auch das führt nicht sehr weit; ich habe
Beigbeder heute Morgen angerufen, er war zutiefst bestürzt, und das war, glaube
ich, nicht gespielt, aber er hat mir immerhin gesagt, dass sie sich seit zwei
Jahren nicht mehr gesehen hatten. Seltsamerweise haben er und seine Verlegerin
genau dasselbe gesagt: Er habe viele Feinde gehabt. Ich bin heute Nachmittag
mit ihnen verabredet, dann erfahre ich vielleicht mehr.«
    »Viele Feinde …«, wiederholte Jasselin
nachdenklich. »Das ist interessant, denn im Allgemeinen haben Opfer nicht einen
einzigen Feind, man hat den Eindruck, als hätten alle sie geliebt … Wir müssen
zu seiner Beerdigung gehen. Ich weiß, dass das heutzutage kaum noch üblich ist,
aber manchmal erfährt man etwas dabei. Es kommen nicht nur Freunde zur
Beerdigung, sondern manchmal auch Feinde, sie scheinen irgendein Vergnügen
daran zu finden.«
    »Übrigens …«, sagte Ferber. »Ist
eigentlich die Todesursache bekannt? Woran er genau gestorben ist?«
    »Nein«, erwiderte Aurélie. »Wir müssen
abwarten, bis sie die … Leichenteile obduziert haben.«
    »Kann die Enthauptung nicht bei
lebendigem Leib stattgefunden haben?«
    »Auf keinen Fall. Das ist eine
langwierige Sache, die eine Stunde dauern kann.« Sie erschauerte leicht und
schüttelte sich.
    Die meisten Mitarbeiter gingen
danach fort und widmeten sich ihren jeweiligen Aufgaben. Nur Ferber und
Jasselin blieben noch eine Weile im Büro. Die Besprechung hatte besser geendet,
als sie begonnen hatte. Alle hatten jetzt etwas zu tun; auch wenn ihnen noch
eine richtige Spur fehlte, hatten sie wenigstens ein paar Hinweise, denen sie
nachgehen konnten.
    »In der Presse ist noch nichts
erschienen«, bemerkte Ferber. »Niemand ist auf dem Laufenden.«
    »Ja«, erwiderte Jasselin und ließ den
Blick auf einem Lastkahn ruhen, der die Seine hinabfuhr. »Das ist seltsam, ich
hätte gedacht, dass es sofort losgeht.«

VI
    E S GESCHAH AM FOLGENDEN T AG. »Der Schriftsteller Michel Houellebecq auf brutale
Weise ermordet«, lautete die Schlagzeile in Le
Parisien , der dem Ereignis eine halbe
Spalte mit relativ wenigen Informationen widmete. Die anderen Tageszeitungen
räumten ihm etwa den gleichen Platz ein, ohne mehr Einzelheiten anzugeben; sie
beschränkten sich im Wesentlichen darauf, das Kommuniqué des Staatsanwalts von
Montargis wiederzugeben. Anscheinend hatte keine Zeitung einen Berichterstatter
an den Tatort entsandt. Wenig später wurden die Presseerklärungen verschiedener
Persönlichkeiten sowie die des Kulturministers abgedruckt: Alle erklärten sich
als »niedergeschmettert« oder zumindest »zutiefst betroffen« und ehrten den
Verstorbenen als »großen Autor, der uns für immer im Gedächtnis bleiben wird« –
kurz gesagt, alles spielte sich wie immer beim Tod eines prominenten Künstlers
ab, mit der üblichen einstimmigen Lobhudelei und den entsprechenden Albernheiten,
all das brachte die Beamten nicht viel weiter.
    Michel Khoury kam enttäuscht von
seinen Treffen mit Teresa Cremisi und Frédéric Beigbeder zurück. Ihr Kummer war
ihm zufolge ohne jeden Zweifel aufrichtig. Jasselin hatte es schon immer
verblüfft, mit welch ruhiger Bestimmtheit Khoury solche Dinge vorbrachte, die
in den, wie er fand, äußerst komplizierten, ungewissen Bereich der menschlichen
Psychologie fielen. »Sie hat ihn wirklich geliebt«, behauptete er zum Beispiel,
oder »Ihr Kummer war ohne jeden Zweifel aufrichtig«, und all das sagte er, als
stelle er durch Versuche belegte, beobachtbare Tatsachen

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