Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
dar; und das Seltsame
an der Sache war, dass die späteren Ermittlungen ihm im Allgemeinen recht
gaben. »Ich kenne mich mit Menschen aus«, hatte er einmal zu Jasselin gesagt,
und zwar im selben Ton, als hätte er gesagt »Ich kenne mich mit Katzen aus«
oder »Ich kenne mich mit Computern aus«.
Die beiden Zeugen hatten ihm jedoch
kaum etwas Nützliches berichten können. Houellebecq habe viele Feinde, hatten
beide noch einmal wiederholt, man habe ihn in ungerechtfertigter Weise
aggressiv und grausam behandelt. Als er um eine genauere Liste bat, schlug
Teresa Cremisi ihm mit einem ungeduldigen Achselzucken vor, ihm eine
Pressemappe zu schicken. Aber die Frage, ob einer seiner Feinde ihn hätte
umbringen können, hatten sie beide ganz eindeutig verneint. Teresa Cremisi, die
sich übertrieben deutlich ausdrückte, als habe sie einen Schwachkopf vor sich,
erklärte ihm, dass es sich um literarische Feinde handele, die ihren Hass auf Websites, in
Zeitungs- oder Zeitschriftenartikeln, schlimmstenfalls in Büchern zum Ausdruck
brachten, aber keiner von ihnen sei imstande, einen physischen Mord zu begehen.
Nicht so sehr aus moralischen Gründen im Übrigen, fuhr sie mit einer spürbaren
Note der Bitterkeit fort, sondern weil sie ganz einfach nicht den Mumm dazu
hatten. Nein, sagte sie abschließend, der Täter sei bestimmt nicht – er hatte
den Eindruck, dass sie fast gesagt hätte »leider nicht« – in literarischen
Kreisen zu suchen.
Beigbeder hatte ihm im Großen und
Ganzen das Gleiche gesagt. »Ich habe volles Vertrauen in die Polizei meines
Landes«, hatte er als Erstes behauptet, ehe er laut auflachte, als handele es sich
dabei um einen besonders guten Witz, aber Khoury hatte ihm das nicht
übelgenommen, denn der Schriftsteller war sichtlich angespannt und verstört,
dieser jähe Tod hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen. Anschließend fügte er
hinzu, dass Houellebecq »so ziemlich alle Arschlöcher aus der Pariser Szene«
zum Feind habe. Auf Khourys Drängen nannte er schließlich die Journalisten der
Website nouvelobs.com , wobei er jedoch hinzusetzte, dass diese sich gegenwärtig bestimmt über
Houellebecqs Tod freuten, dass er aber keinen von ihnen für fähig halte, auch
nur das geringste persönliche Risiko einzugehen. »Können Sie sich vorstellen,
dass Didier Jacob eine rote Ampel überfährt? Selbst mit dem Fahrrad würde er
das nie wagen«, hatte der Autor von Ein französischer
Roman das Gespräch sichtlich angewidert
beendet.
»Kurz gesagt handelt es sich um
ein ganz normales berufliches Umfeld mit der üblichen Missgunst und den
üblichen Rivalitäten«, meinte Jasselin und legte die beiden Zeugenaussagen in
einen gelben Aktendeckel. Er heftete den Aktendeckel an letzter Stelle im
Ordner »Zeugenaussagen« ab, in dem Bewusstsein, dass er damit das Kapitel literarische Kreise der
Ermittlung abschloss und vermutlich nie wieder Gelegenheit haben würde, mit literarischen Kreisen in
Kontakt zu kommen. Ihm war im Übrigen auch schmerzhaft bewusst, dass die Ermittlungen
keinen Schritt vorankamen. Inzwischen lag ihnen der Befund des
Erkennungsdienstes vor: Der Mann und der Hund waren mit einer SIG -Sauer M-45 erschossen
worden, in beiden Fällen mit einer einzigen Kugel aus allernächster Nähe in
Höhe des Herzens; die Waffe war mit einem Schalldämpfer versehen gewesen. Zuvor
waren sie mit einem stumpfen, länglichen Gegenstand niedergeschlagen worden –
es mochte sich um einen Baseballschläger gehandelt haben. Ein sauberer Mord
ohne überflüssige Gewaltanwendung. Erst im Anschluss daran waren die Leichen in
Stücke und Streifen geschnitten worden. Dieser Vorgang musste, wie sie aufgrund
einer kurzen Simulation berechnet hatten, etwas über sieben Stunden gedauert
haben. Der Tod war drei Tage vor dem Auffinden der Leiche eingetreten; der Mord
hatte also an einem Samstag stattgefunden, vermutlich gegen Mittag.
Die Auswertung der detaillierten Liste
aller geführten Telefongespräche, die der Telefonanbieter entsprechend der
Gesetzesvorschrift über einen Zeitraum von einem Jahr gespeichert hatte, hatte
nichts ergeben. Tatsächlich hatte Houellebecq innerhalb dieses Zeitraums nur
wenig telefoniert – insgesamt nur dreiundneunzig Gespräche, und keines davon
hatte irgendeinen persönlichen Charakter gehabt.
VII
D IE B EERDIGUNG WAR AUF den folgenden Montag angesetzt. Der Schriftsteller
hatte diesbezüglich bei einem Notar genaue Anweisungen und die für die
Durchführung erforderliche Geldsumme
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