Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
zu ertragen, wie es häufig bei Menschen der
Fall ist, die aus ärmlichen Verhältnissen stammen: Reichtum macht nur Leute
glücklich, die schon immer einen gewissen Wohlstand gewöhnt und seit ihrer
Kindheit darauf vorbereitet sind; wenn jemandem, der es im Leben nicht immer
leicht hatte, plötzlicher Reichtum zufällt, empfindet er als Erstes Angst , auch wenn es ihm manchmal
gelingt, sie vorübergehend zu bekämpfen, bis sie ihn schließlich ganz
überwältigt. Jed dagegen, als Sohn wohlhabender Eltern, der sehr früh Erfolg
gehabt hatte, störte sich nicht im Geringsten daran, einen Betrag von vierzehn
Millionen Euro auf seinem Scheckkonto zu haben. Er wurde nicht einmal ernsthaft
von seinem Bankier belästigt. Seit der letzten Finanzkrise, die sehr viel
schlimmer als die des Jahres 2008 gewesen war und zum Konkurs der Crédit Suisse
und der Royal Bank of Scotland geführt hatte, ganz zu schweigen von zahlreichen
weniger bedeutenden Banken, waren die Bankiers gelinde gesagt ziemlich kleinlaut geworden. Sie
hatten natürlich noch das Geschwätz auf Lager, das man ihnen während ihrer
Ausbildung beigebracht hatte, aber wenn man ihnen sagte, dass man sich für
keines ihrer Anlageprodukte interessierte, gaben sie sofort auf, seufzten
resigniert, räumten ruhig die dünne Akte weg, die sie vorbereitet hatten, und
entschuldigten sich fast; nur ein letzter Funken beruflichen Stolzes hielt sie
davon ab, dem Kunden ein Sparbuch mit einer Vergütung von 0,45 Prozent Zinsen
anzubieten. Ganz allgemein befand man sich in einer ideologisch seltsamen
Epoche, in der jeder in Westeuropa davon überzeugt zu sein schien, dass der
Kapitalismus zum Scheitern verurteilt sei – und zwar sogar kurzfristig – und
seine allerletzten Jahre erlebte, ohne dass es aber den ultralinken Parteien
gelungen wäre, über ihre übliche Kundschaft von gehässigen Masochisten hinaus
neue Anhänger zu gewinnen. Ein Ascheschleier schien sich über den Geist der
Menschen gelegt zu haben.
Sie sprachen ein paar Minuten über
die Situation des Kunstmarkts, die ziemlich absurd war. Viele Sachverständige
hatten geglaubt, dass nach der fieberhaften Spekulation der vergangenen Jahre
nun eine ruhigere Zeit eintrete, in der die Preise auf dem Kunstmarkt nur
langsam und regelmäßig wachsen würden, sozusagen in normalem Rhythmus; manche
hatten sogar vorausgesagt, dass die Kunst zu einem Zufluchtswert werden würde.
Sie hatten sich geirrt. »Es gibt keinen Zufluchtswert mehr«, wie die Financial Times neulich in
einem Leitartikel geschrieben hatte, und im Bereich der Kunst war die
Spekulation noch intensiver, noch verrückter, noch hektischer geworden, die
Kurse stiegen oder fielen blitzschnell, die in ArtPrice veröffentlichten Ranglisten wurden inzwischen
wöchentlich erstellt.
Sie tranken ein zweites und
schließlich ein drittes Glas Wein.
»Ich kann bestimmt einen Käufer
finden«, sagte Franz schließlich. »Das wird natürlich ein bisschen Zeit
erfordern. Bei den Preisen, die deine Werke inzwischen erreicht haben, können
nicht mehr viele Leute mithalten.«
Jed hatte es sowieso nicht eilig. Das
Gespräch verlief immer stockender, ehe es ganz einschlief. Sie blickten sich
ein wenig betrübt an. »Wir haben gemeinsam … so manches erlebt«, bemühte sich
Jed mit letzter Anstrengung zu sagen, aber seine Stimme erstarb, noch bevor er
den Satz zu Ende geführt hatte. Als er aufstand, um zu gehen, sagte Franz zu
ihm: »Du hast hoffentlich bemerkt … dass ich dich nicht gefragt habe, was du
machst.«
»Das habe ich.«
Tatsächlich drehte er sich gelinde
gesagt im Kreis. Er war derart unbeschäftigt, dass er seit ein paar Wochen mit
seinem Heizkessel sprach. Aber das eigentlich Beunruhigende war – das hatte er
vor zwei Tagen begriffen –, dass er jetzt fast überzeugt war, der Heizkessel
würde ihm antworten. Tatsachlich gab der Apparat immer unterschiedlichere
Geräusche von sich: Ächzen, Brummen, Knacken, Pfeifen in unterschiedlicher Höhe
und Lautstärke; man konnte wirklich fast damit rechnen, dass er sich eines
Tages in einer artikulierten Sprache ausdrücken würde. Er war im Grunde Jeds
ältester Weggefährte.
S ECHS M ONATE SPÄTER BESCHLOSS J ED , umzuziehen und sich im Haus seiner Großeltern in der
Creuse niederzulassen. Ihm war dabei schmerzlich bewusst, dass er den gleichen
Weg einschlug wie Houellebecq ein paar Jahre zuvor. Er versuchte sich
einzureden, dass es sich bei ihm um etwas ganz anderes handele. Zunächst einmal
war
Weitere Kostenlose Bücher