Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
man seinen Zügen ansieht,
hervorgerufen wird.
Die Begegnung findet ganz
offensichtlich bei Jobs statt. Die Mischung aus weißen Möbeln in stilechtem
Design und Wandbehängen in grellen Ethno-Mustern: Alles in dem Raum beschwört
das ästhetische Universum des Gründers von Apple herauf, das in diametralem
Gegensatz zu jener schon fast an eine Science-Fiction-Welt grenzenden
verschwenderischen Fülle von Hightech-Gadgets steht, die der Legende zufolge
das Haus charakterisiert, das sich der Gründer von Microsoft in einem Vorort
von Seattle hat errichten lassen. Zwischen den beiden Männern steht ein
Schachspiel mit handwerklich gefertigten Holzfiguren auf einem niedrigen Tisch;
sie haben die Partie gerade in einer für Schwarz – also für Jobs – sehr
ungünstigen Position unterbrochen.
Auf manchen Seiten seiner
Autobiographie, Der Weg nach vorn , lässt Bill Gates etwas durchschimmern, das man als
blanken Zynismus bezeichnen könnte – insbesondere in dem Abschnitt, in dem er
unumwunden zugibt, dass es für ein Unternehmen nicht unbedingt vorteilhaft ist,
innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Oft sei es vorzuziehen, zu
beobachten, was die Konkurrenz mache (hier spielt er eindeutig, ohne ihn zu
nennen, auf den Konkurrenten Apple an), zu warten, bis sie ihre Produkte
herausgebracht und sich mit den Schwierigkeiten auseinandergesetzt haben, die mit
jeder Neuerung verbunden sind, sie sich also gleichsam mit den
Kinderkrankheiten herumschlagen zu lassen und anschließend den Markt mit
preiswerten Kopien dieser Produkte zu überschwemmen. Dieser scheinbare Zynismus
ist jedoch, wie Houellebecq in seinem Vorwort hervorhebt, nicht die eigentliche
Wahrheit hinter Bill Gates; diese drückt sich eher in erstaunlichen, fast
rührenden Passagen aus, in denen er seinen Glauben an den Kapitalismus, an die
mysteriöse »unsichtbare Hand« erneut bekräftigt, seine unerschütterliche
Überzeugung, dass der Markt letztlich, was auch immer es an Wechselfällen und
scheinbaren Gegenbeispielen geben mag, immer recht hat, dass das Wohl des Marktes
immer mit dem allgemeinen Wohl identisch ist. Da erscheint Bill Gates in seiner
eigentlichen Wahrheit als gläubiger Mensch, und diesen Glauben, diese
Arglosigkeit des aufrichtigen Kapitalisten hat Jed Martin sehr überzeugend
wiedergegeben, indem er ihn warmherzig und freundlich darstellt, mit Armen, die
weit geöffnet sind, während seine Brille die letzten Strahlen der über dem
pazifischen Ozean untergehenden Sonne reflektiert. Jobs dagegen, der von der
Krankheit abgemagert ist und dessen sorgenvolles, von einem spärlichen Bart
bedecktes Gesicht auf seiner rechten Hand ruht, erinnert an einen
Wanderprediger, der sich anschickt, vielleicht zum zehnten Mal seine Predigt
vor einer dünngesäten gleichgültigen Zuhörerschaft herunterzuleiern, plötzlich
aber von Zweifeln geplagt wird.
Und dennoch erweckt Jobs, reglos,
geschwächt und in Verliererposition, den Eindruck, das Spiel zu beherrschen –
das ist, wie Houellebecq in seinem Vorwort schrieb, das große Paradox dieses
Gemäldes. In seinen Augen glitzert noch immer jene Flamme, die nicht nur die
Prediger und Propheten auszeichnet, sondern auch die Erfinder, wie sie Jules
Verne so oft beschrieben hat. Wenn man die von Martin dargestellte Position der
Schachfiguren genauer betrachtet, wird einem klar, dass Schwarz nicht unbedingt
verlieren muss, dass Jobs, wenn er seine Dame opfert, den Gegner mit Läufer und
Springer in drei kühnen Zügen sogar mattsetzen kann. Man hat auch den Eindruck,
als könne er aufgrund der genialen Erfindung eines neuen Produkts dem Markt
plötzlich neue Normen aufzwingen. Hinter den beiden Männern sieht man durch
eine Fensterwand Felder von fast übernatürlichem Smaragdgrün, die sich mit
sanftem Gefälle bis zu einer Reihe von Felsen und einem Nadelwald hinziehen.
Weiter hinten erstreckt sich der pazifische Ozean mit seinen endlosen
goldbraunen Wellen. In der Ferne spielen kleine Mädchen auf der Grasfläche
Frisbee. Im herrlichen Flammenspiel der untergehenden Sonne, deren
orangefarbener Pracht Martin eine fast unwirkliche Note verliehen hat, zieht
die Nacht über Nordkalifornien herauf, und die Nacht zieht auch über den am
weitesten entwickelten Teil der Welt herauf; diese undefinierte Trauer des
Abschieds lässt sich ebenfalls in Jobs’ Blick erkennen.
Zwei überzeugte Verfechter der
Marktwirtschaft und auch zwei entschlossene Anhänger der demokratischen Partei,
und dennoch zwei
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