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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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ausführliche,
klare Nährwertkennzeichnung auf einem Etikett hinzuweisen!
    War er etwa dabei, freundschaftliche Gefühle für
Houellebecq zu entwickeln? Dieser Ausdruck wäre wohl übertrieben gewesen, denn
Jed hielt sich ohnehin nicht für fähig, Gefühle dieser Art zu empfinden: Er
hatte weder in seiner Kindheit noch in seiner frühsten Jugend lebhafte
Freundschaften geschlossen, dabei werden gerade diese Lebensphasen für das
Entstehen freundschaftlicher Beziehungen als besonders geeignet angesehen; es
war daher recht unwahrscheinlich, dass es nun, in
fortgeschrittenem Alter , zu einer
Freundschaft mit jemandem kommen sollte. Dennoch hatte er ihre Begegnung
letztlich durchaus geschätzt, und vor allem gefiel ihm der Text sehr gut, er
war sogar erstaunt, wie groß das intuitive Einfühlungsvermögen des Autors war,
wenn er bedachte, dass dieser im Bereich der Malerei keinerlei Vorkenntnisse
besaß. Selbstverständlich hatte er ihn zur Vernissage eingeladen. Houellebecq
hatte erwidert, er werde »versuchen vorbeizukommen«, was bedeutete, dass die
Chancen, ihn zu sehen, so gut wie null waren. Als Jed am Telefon mit ihm
gesprochen hatte, war er voller freudiger Erregung über das Einrichten seines
neuen Hauses gewesen: Als er zwei Monate zuvor so etwas wie eine sentimentale
Pilgerreise in das Dorf gemacht habe, in dem er seine Kindheit verbracht hatte,
habe das Haus, in dem er aufgewachsen war, zufällig zum Verkauf gestanden. Er
habe das als ein »richtiges Wunder«, als Zeichen des Schicksals betrachtet und
es sofort gekauft, ohne auch nur über den Preis zu verhandeln, und habe den
Umzug seiner Sachen veranlasst – die sich zum großen Teil sowieso noch in
Kartons befanden –, und jetzt kümmere er sich darum, das Haus einzurichten.
Jedenfalls hatte er über nichts anderes gesprochen, und Jeds Bild schien seine
geringste Sorge zu sein; Jed hatte ihm dennoch versprochen, das Bild zu
bringen, sobald die Vernissage und die ersten Tage der Ausstellung, in denen
manchmal noch ein paar verspätete Journalisten auftauchten, vorüber wären.
    Als Jed gegen 19.20 Uhr zur Galerie
zurückkehrte, sah er hinter den großen Fenstern etwa fünfzig Leute, die auf den
Gängen zwischen den Bildern hin und her wanderten. Die Leute waren pünktlich
erschienen, das war vermutlich ein gutes Zeichen. Marilyn entdeckte ihn schon
aus der Ferne und hob einen Daumen als Zeichen des Sieges.
    »Fette Beute«, sagte sie, als er auf
sie zukam. »Richtig fette Beute.«
    Tatsächlich sah er ein paar Meter
weiter Franz im Gespräch mit François Pinault und einer reizenden jungen Frau,
die vermutlich aus dem Iran stammte und dem Industriellen bei der Leitung
seiner Kunststiftung assistierte. Sein Galerist schien sich abzumühen, machte
unkontrollierte Bewegungen mit den Armen, und eine Sekunde lang wollte Jed ihm
schon zu Hilfe eilen, doch dann fiel ihm etwas ein, was er schon immer gewusst
hatte und was ihm Marilyn ein paar Tage zuvor noch einmal direkt ins Gesicht
gesagt hatte: Er sei vor allem gut, wenn er kein Wort sage.
    »Und das ist noch nicht alles«, fuhr
die Pressefrau fort. »Siehst du den Typen in Grau da hinten?« Sie zeigte auf
einen jungen Mann Anfang dreißig mit klugen Gesichtszügen, der äußerst elegant
gekleidet war und dessen Anzug, Krawatte und Oberhemd eine subtile Mischung aus
unterschiedlichen hellgrauen Farbtönen bildeten. Er war vor dem Bild Der Journalist Jean-Pierre Pernaut leitet eine Redaktionskonferenz stehen geblieben, einem relativ frühen Bild Jeds, dem
ersten, auf dem er die zentrale Person in Gesellschaft von Arbeitskollegen
dargestellt hatte. Das war, wie er sich noch erinnerte, ein Gemälde, das ihn
große Mühe gekostet hatte, denn der Gesichtsausdruck von Jean-Pierre Pernauts
Mitarbeitern, die den Anweisungen ihres charismatischen Chefs mit einer seltsamen
Mischung aus Verehrung und Abneigung zuhörten, war nur sehr schwer
wiederzugeben, er hatte fast sechs Monate dafür gebraucht. Aber dieses Bild
hatte ihn befreit, und gleich darauf hatte er mit dem Bild Der Architekt Jean-Pierre Martin gibt die Leitung seines
Unternehmens ab begonnen und in
Wirklichkeit mit all seinen großen Kompositionen, denen die Welt der Arbeit den
Rahmen gab.
    »Dieser Typ ist Roman Abramowitschs
Einkäufer für Europa«, erklärte Marilyn. »Ich habe ihn schon in London und
Berlin gesehen, aber noch nie in Paris, jedenfalls noch nie in einer Galerie
für zeitgenössische Kunst.«
    »Es ist ein gutes Zeichen, wenn schon
am

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