Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
Japaner um die dreißig
hereinkommen, der sich verstört umblickte und sich dann an den Nachbartisch
setzte.
Die Empfehlung einer Kalbsblanquette
bereitete dem Japaner Seelenqualen; er nahm schließlich mit einem Entrecôte
vorlieb, das ihm wenige Minuten darauf serviert wurde und in dem er traurig und
unentschlossen mit der Gabelspitze herumstocherte. Jed ahnte, dass der Mann
versuchen würde, mit ihm ins Gespräch zu kommen, was er, nachdem er an ein paar
Pommes frites geknabbert hatte, auch tat, auf Englisch. Der arme Kerl war
Angestellter von Komatsu, einer Werkzeugmaschinenfirma, der es gelungen war,
einen ihrer Webautomaten jüngster Generation an die letzte noch in Betrieb
befindliche Tuchfabrik des Departements zu verkaufen. Die Maschine war
fehlerhaft programmiert gewesen, und er war gekommen, um zu versuchen, sie zu
reparieren. Auf eine Dienstreise zu diesem Zweck, beklagte er sich, hätte seine
Firma früher drei oder vier Techniker entsandt, auf jeden Fall mindestens zwei,
aber die Budgetbeschränkungen seien derart drastisch, dass er jetzt hier in
Beauvais ganz allein mit einem zornigen Kunden und einer fehlerhaften
Programmierung fertigwerden müsse.
Er befinde sich tatsächlich in einer
schwierigen Situation, stimmte Jed ihm zu. Aber ob er nicht wenigstens
telefonisch Hilfe anfordern könne? » Time difference … «, erwiderte der Japaner traurig. Vielleicht würde es
ihm gelingen, zu Bürobeginn, gegen ein Uhr morgens, jemanden in Japan zu
erreichen, aber bis dahin sei er allein und könne nicht einmal japanische
Kabelkanäle in seinem Zimmer empfangen. Er betrachtete einen Augenblick sein
Fleischmesser, als habe er vor, eine improvisierte Form von Seppuku zu verüben,
doch dann entschloss er sich, sein Entrecôte zu essen.
Als Jed in seinem Zimmer war, sah
er sich eine Meeresdokumentation ohne Ton an und schaltete sein Handy ein.
Franz hatte ihm drei Nachrichten hinterlassen. Er nahm nach dem ersten Klingelton
ab.
»Na, wie ist es gelaufen?«
»Gut. Relativ gut. Allerdings nehme
ich an, dass er das Vorwort nicht rechtzeitig abliefert.«
»Nein, das darf nicht wahr sein. Ich
brauche es Ende März, sonst kann ich den Katalog nicht drucken lassen.«
»Ich habe ihm gesagt …«, Jed zögerte,
dann fasste er sich ein Herz. »Ich habe ihm gesagt, das sei nicht schlimm, er
könne sich so viel Zeit lassen, wie er wolle.«
Franz gab eine Art ungläubiges Knurren
von sich, dann verstummte er, ehe er wieder mit gereizter Stimme das Wort
ergriff. Er stand kurz vor einem Wutausbruch.
»Hör zu, wir müssen uns unbedingt
sehen, um darüber zu sprechen. Kannst du sofort in die Galerie kommen?«
»Nein, ich bin in Beauvais.«
»In Beauvais ? Was machst du denn in Beauvais ?«
»Ich versuche etwas Abstand zu
gewinnen. Beauvais ist genau der richtige Ort, um Abstand zu gewinnen.«
Um 8.47 Uhr fuhr ein Zug, und die
Fahrt zur Gare du Nord dauerte eine gute Stunde. Um elf Uhr war Jed in der
Galerie und stand Franz gegenüber, der völlig entmutigt war. »Du bist nicht
mein einziger Künstler, weißt du«, sagte er vorwurfsvoll. »Wenn die Ausstellung
nicht im Mai stattfinden kann, bin ich gezwungen, sie auf Dezember zu
verschieben.«
Die Ankunft von Marilyn zehn Minuten
später lockerte die Atmosphäre ein wenig auf. »Ach, mir passt der Dezember sehr
gut«, verkündete sie sofort, ehe sie mit zäher Angriffslust fortfuhr: »Das
lässt mir mehr Zeit, um die Sache den englischen Zeitschriften schmackhaft zu
machen, bei denen muss man immer sehr früh anfangen.«
»Okay, also im Dezember«, räumte Franz
mürrisch ein und gab sich geschlagen.
»Ich bin …«, begann Jed und hob leicht
die Hände, ehe er verstummte. Er wollte sagen: »Ich bin schließlich der
Künstler«, oder eine ähnliche Phrase, mit ziemlich lächerlichem Nachdruck in
der Stimme, aber er fing sich schnell wieder und fügte nur hinzu: »Ich muss
selbst auch genug Zeit haben, um das Porträt von Houellebecq zu malen. Ich lege
Wert darauf, dass es ein gutes Bild wird. Ich möchte, dass es mein bestes Bild
wird.«
VI
B EI DEM B ILD Michel Houellebecq,
Schriftsteller bricht Jed Martin, wie die
meisten Kunsthistoriker hervorgehoben haben, mit der Gepflogenheit des
realistischen Hintergrunds, die sein gesamtes Werk innerhalb der Periode der Berufe gekennzeichnet hat. Er
bricht nur mit Mühe damit, und man spürt, dass ihn dieser Bruch große
Anstrengungen kostet und dass er versucht, mit Hilfe verschiedener Kunstgriffe
die Illusion eines
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