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Kassandra

Kassandra

Titel: Kassandra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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auch. O, was für Wörter sie mich lehrten. Sie spuckten nach mir, aus dem Schacht heraus, durch den sie auf dem Bauche krochen, um mir durch diese Luke den Fraß zuzuschieben, auf den ich, je länger man mich festhielt, um so gieriger schon wartete. Ich wußte nicht, ob siemich überhaupt verstanden. Ich erfragte ihre Namen. Gellendes Gelächter. Ich sagte meinen. Höhnisches Gekreisch. Die eine, jüngere, wenn ich der Stimme trauen konnte, spuckte mir in den Wassernapf. Ich mußte lernen, daß nicht jeder Mensch, den man zum Tier herabgewürdigt hatte, imstande ist, den Weg zurück zu gehn. Die Weiber wurden mir gefährlicher als vorher. Ich fing an, vor ihnen Angst zu haben.
    Eines Tages schabte die Klappe außerhalb der Essenszeit. Vergeblich wartete ich auf Gekreisch. Eine gepflegte Männerstimme – das gab es! – sprach zu mir. Andron. Der schöne Andron. Hier, Kassandra. Als begegneten wir uns an der Tafel im Palast. Komm her. Nimm das. Was gab er mir da. Etwas Hartes, Scharfes. Mit fliegenden Fingern tastete ich es ab. Erkannte ich es? O, diese schöne Stimme, triumphgeschwellt. Ja: Es war das Schwertgehänge des Achilles. An das man, wie ich mir denken könne, nur herankam, wenn man seinen Träger getötet hatte. Ja: Alles war nach Plan verlaufen. Ja: Der Griechenheld Achill war tot.
    Und Polyxena? Bitte! Polyxena!
    Knapp, allzu knapp: Sie lebt.
    Die Klappe fiel, ich blieb allein, jetzt kam das Schwerste.
    Achill das Vieh war tot. Der Anschlag war geglückt. Wäre es nach mir gegangen, das Vieh wär noch am Leben. Sie hatten recht behalten. Wer Erfolg hat, behält recht. Aber hatte ich nicht von Anfang an gewußt, daß ich nicht im Recht war? So. Also hatte ich mich einsperren lassen, weil ich zu stolz war, ihnen nachzugeben?
    Nun, ich hatte Zeit. Ich konnte Wort für Wort und Schritt für Schritt, Gedanke um Gedanke den Fall nocheinmal durchgehn. Zehn-, hundertmal habe ich vor Priamos gestanden, hundertmal versucht, auf sein Gebot, ihm zuzustimmen, mit Ja zu antworten. Hundertmal habe ich wieder nein gesagt. Mein Leben, meine Stimme, mein Körper gaben keine andre Antwort her. Du stimmst nicht zu? Nein. Aber du wirst schweigen. Nein. Nein. Nein. Nein.
    Sie hatten recht, und mein Teil war, nein zu sagen.
    Endlich, endlich verstummten diese Stimmen. Einmal hab ich in meinem Korb vor Glück geweint. Das jüngere der Weiber schob auf dem Gerstenfladen etwas herein, das meine Finger gleich erkannten, noch eh mein Kopf den Namen formen konnte: Anchises! Holz! Eins seiner Tiere. Ein Schaf? Ein Lämmchen? Draußen sah ich dann: Es war ein kleines Pferd. Myrine schickte es. Sie hat, ich weiß nicht, wie, das junge Wächterweib beredet. Das, übrigens, hat mich seitdem nicht wieder angebellt. Ach ich vergaß zu essen über dem Stückchen Holz. Sie wußten, wo ich war. Sie hatten mich nicht vergessen. Ich würde leben und bei ihnen sein. Wir würden uns nicht mehr verlieren, bis, was nicht mehr aufzuhalten war, geschah, der Untergang von Troia.
    So kam es auch. Als ich heraus war, lebte ich lange, weil ich kein Licht vertrug, mit den Händen vor den Augen, und am liebsten in den Höhlen. Myrine, die nicht von mir wich, hat mich gezwungen, nach und nach ins Licht zu sehen. Bis auf das letzte Mal sprachen wir nicht von Penthesilea, nicht von ihren eignen Wunden. Ich sah sie nackt. Sie war von Narben überdeckt. Meine Haut war glatt, bis jetzt, zum Ende. Ich hoffe, sie verstehn ihr Handwerk, dann genügt ein Schnitt. Das war die Zeit, da durfte mich nur eine Frau berühren. Aineiaskam, er saß bei mir, er streichelte die Luft über meinem Kopf. Ich liebte ihn mehr als mein Leben. Er lebte nicht bei uns, wie manche jungen Männer, die an Körper oder Seele durch den Krieg beschädigt waren. Sie kamen wie die Schatten, unser pralles Leben gab ihnen Farbe, Blut, auch Lust zurück. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich die Bilder. Den Idaberg in wechselnder Beleuchtung. Die Hänge mit den Höhlen. Den Skamander, seine Ufer. Das war uns die Welt, schöner kann keine Landschaft sein. Die Jahreszeiten. Der Geruch der Bäume. Und unser ungebundnes Dasein, eine neue Freude jeder neue Tag. Bis hierher reichte die Zitadelle nicht. Sie konnten nicht zugleich den Feind und uns bekämpfen. Sie ließen uns, nahmen von uns die Früchte, die wir ernteten, die Stoffe, die wir webten. Wir lebten selber arm. Wir sangen viel, kann ich mich erinnern. Redeten viel, abends am Feuer in Arisbes Höhle, in der die Wandfigur der Göttin wie

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