Kassandra
Grinsen: Du hasts erfaßt. So ist es. Ohne Schuhe, das ist die Bedingung, die sie ihm genannt, wird Achilles in den Tempel kommen.
Rundum Gelächter.
Allein?
Was denkst du denn. Allein. Und wird den Tempel lebend nicht verlassen.
Und Polyxena? Wird ihn dort allein erwarten?
Wenn du von Paris absiehst, sagte Eumelos. Und von uns natürlich. Aber wir stehn draußen.
Und Achill wird also Polyxena dort umarmen.
Zum Schein. Wenn er genügend abgelenkt ist – Lachen –, trifft ihn Paris’ Pfeil.
Gelächter.
Und Polyxena ist damit einverstanden.
Einverstanden? Sie ist gierig drauf. Eine wahre Troerin.
Aber warum ist sie nicht hier.
Hier geht es um Einzelheiten. Die sie nichts angehn. Um die kühle Planung. Die sie als Frau nur durcheinanderbrächte.
Ich schloß die Augen, und ich sah die Szene. Mit allen Einzelheiten. Hörte Polyxenas Lachen. Sah den Mord im Tempel – Achill als Leiche, ach! wer lechzte nicht nach diesem Anblick! –, der an Polyxena hängenbliebe.
Ihr benutzt sie.
Wen denn?
Polyxena.
Aber bist du nicht imstande zu begreifen! Um sie geht es nicht. Es geht uns um Achill.
Das ist es, was ich sage.
Da sprach der Vater, der bis jetzt geschwiegen hatte: Schweig, Kassandra. – Zornig, böse. – Ich sagte: Vater –
Komm mir nicht mehr mit »Vater«. Viel zu lange ließ ich dich gewähren. Gut, dachte ich, sie ist empfindlich. Gut, sie sieht die Welt nicht, wie sie ist. Sie schwebt ein bißchen in den Wolken. Nimmt sich wichtig, das tun Frauen gern. Ist verwöhnt, kann sich nicht fügen. Überspannt. Bildet sich was ein. Worauf denn, Tochter. Kannst du mir das sagen? Immer die Nase hoch? Und mit dem Mundwerk vorneweg? Und die verachten, die für Troia kämpfen? Ja kennst du unsre Lage überhaupt. Und wenn du diesem unsern Plan, Achill, den schlimmsten Feind, zu töten, jetzt nicht zustimmst – weißt du, wie ich das nenne? Feindbegünstigung.
So eine Stille um mich, in mir. Wie jetzt. Wie hier.
Der Vater sagte noch, sofort solle ich den Plänen, die zur Verhandlung stünden, nicht nur zustimmen; ich solle mich verpflichten, über sie zu schweigen und, wenn sie ausgeführt, sie gegen jedermann ausdrücklich zu verteidigen.
Dies also war, doch unverhofft, der Augenblick, den ich gefürchtet hatte. Unvorbereitet war ich nicht, warum war es so schwer. Hastig, unheimlich schnell erwog ich, daß sie im Recht sein könnten. Was heißt im Recht. Daß das Recht – Polyxenas Recht, mein Recht – gar nicht zur Sprache stand, weil eine Pflicht, die, unsern schlimmsten Feind zu töten, das Recht verschlang. Und Polyxena? Sie ging zugrund, daran war nicht zu zweifeln. Sie war schon aufgegeben.
Nun, Kassandra. Nicht wahr, du bist vernünftig.
Ich sagte: Nein.
Du stimmst nicht zu? Nein.
Aber du wirst schweigen.
Nein, sagte ich. Angstvoll umfaßte Hekabe die Mutter meinen Arm. Sie wußte, was jetzt kam, ich auch. Der König sagte: Nehmt sie fest.
Die Hände wieder, die mich packten, nicht zu hart, nur soviel, um mich abzuführen. Männerhände eben. Keine Erlösung durch Ohnmacht oder durch Gesichte. Im Weggehn drehte ich mich um, mein Blick traf Bruder Paris. Er wollte nicht schuld sein, aber was sollte er denn machen. Hatten sie ihn nicht wegen seines Fehlers mit Helena für immer in der Hand? Schwach, Bruder, schwach. Ein Schwächling. Übereinstimmungssüchtig. Sieh dich bloß im Spiegel an. – Mit diesem letzten Blick durchschaute ich ihn ganz, und er sich auch, doch das ertrug er nicht. Eilfertiger als jeder andre trieb er die Wahnsinnstat, die nicht mehr aufzuhalten war, voran. Als Achillbezwinger soll er sich dann gespreizt vor Volk und Truppe haben vorführn lassen. Paris, unser Held! Das konnte seine Selbstverachtung nicht mindern, die unheilbar war.
Mich haben sie bei tiefster Dunkelheit in aller Stille an einen Ort geführt, der mir schon immer unheimlich und bedrohlich war: das Heldengrab. So hieß es bei uns, und wir Kinder haben es für unsre Mutproben gebraucht. Es lag abseits, in einem vorgeschobenen und verlassenen Teil der Festung, dicht an der Mauer, manchmal hörte ich, als mein Ohr unglaublich geschärft war, wie die Wachen patrouillierten. Die wußten nicht, daß ich da unten saß, es wußte keiner, außer den beiden Eumelos-Vertrauten, die mich hergeschleppt (ja, Andron war dabei, der schöne Andron), und jenen beiden wüsten Weibern, die mir zu essen brachten. Figuren wiedie zwei hatt ich in Troia nie gesehn. Aus dem untersten Grund, dorther, wohin die sinken, die
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