Kastner, Erich
allem Miniaturen. Miniaturen sind winzige Gemälde. Oft sind sie aufs kostbarste eingefaßt. Alte Miniaturen sind sehr teuer. Herr Steinhövel zahlt für Miniaturen jede Summe.«
»So hat jeder seinen Klaps«, stellte Herr Külz fest. »Es ist genau wie mit meinem Bruder und seinen Tauben. Was sie dem schon alles angedreht haben! Und zu welchen Preisen! Einer alleine glaubt das gar nicht! Einmal hat er ein Taubenpärchen gekauft, weil es so merkwürdig gezeichnet war. Er wollte es auf der Geflügelausstellung prämiieren lassen. Aber kurz vorher regnete es leider. Und in dem Regen ging den Biestern die Farbe aus. Sie waren angemalt gewesen, und mein Bruder war angeschmiert worden.«
»Kennen Sie Holbein den Jüngeren?«
»Wenn ich ehrlich sein soll: nein! Den Älteren auch nicht.«
»Holbein der Jüngere war einer der berühmtesten deutschen Maler. Er lebte eine Zeitlang am Hofe Heinrichs VIII.«
»Den kenn ich«, meinte Külz erfreut. »Das ist der, der einen Tag lang barfuß im Schnee stand.«
»Nein. Das war Heinrich IV.«
»Aber ungefähr hat’s gestimmt, was?«
»Ziemlich. Heinrich IV. war ein deutscher Kaiser, und Heinrich VIII. war König von England. – Am bekanntesten wurde er dadurch, daß er häufig heiratete und etliche seiner Frauen hinrichten ließ.«
»Das waren Zeiten!« sagte Herr Külz und schnalzte mit der Zunge.
»Er ließ seine Frauen aber nicht nur hinrichten, sondern auch malen.«
»Hoffentlich vorher!« Külz lachte laut und schlug sich auf die grüne imprägnierte Hose.
»Jawohl«, sagte Fräulein Trübner. »Vorher! Die erste Frau, die er köpfen ließ, hieß Anna Boleyn. Holbein malte sie, ohne Wissen des Königs, kurz vor der Hochzeit, und sie schenkte ihm diese Miniatur, von wundervollen Edelsteinen umrahmt, zum Geburtstag.«
»Heute läßt man sich fotografieren«, meinte Külz. »Das geht schneller und ist billiger.«
»Auf der Rückseite der Miniatur steht eine liebevolle Widmung von Anna Boleyns eigner Hand.«
»Aha«, sagte Külz. »Jetzt geht mir ein Seifensieder auf. Diese Miniatur wurde in Kopenhagen versteigert, und Herr Steinhövel hat sie gekauft.«
»So ist es. Für die Kleinigkeit von sechshunderttausend Kronen.«
»Schreck, laß nach!«
»Herr Steinhövel fuhr gestern nach Brüssel, um dort eine Miniatur Karls IV. zu besichtigen. Ein Kinderbild des Luxemburgers, als er am französischen Hofe lebte. Und mich hat der Chef beauftragt, die englische Miniatur von Kopenhagen nach Berlin zu bringen.«
»Mein herzlichstes Beileid!«
»Herr Steinhövel wollte sie nicht nach Brüssel mitnehmen. Und überdies dachte er, bei mir sei sie sicherer aufgehoben. Denn ihn kennt man. Seine Privatsekretärin kennt man nicht. – Und nun kommt die heutige Zeitungsmeldung!«
Herr Külz kratzte sich am Kopf.
»Kunstgegenstände im Werte von einer Million sind geraubt worden.« Sie war außer sich. »Es handelt sich ausnahmslos um Gegenstände, die auf der Aktion versteigert worden sind. Und von den Tätern fehlt jede Spur. Wenn ich nun morgen mit der Miniatur Anna Boleyns nach Berlin fahre, kann es mir passieren, daß die Miniatur verschwindet. Es wird mir sogar todsicher passieren! Ich fühle das schon seit heute mittag. Sie behaupten zwar, daß meine Ahnungen nach dem ersten Kind verschwinden würden. Aber ich sagte Ihnen bereits…«
»Daß Sie unmöglich so lange warten können. Das leuchtet mir langsam ein. Was soll nun aber werden? Hierbleiben können Sie nicht. Fortfahren können Sie nicht. Und etwas Drittes gibt es nicht.«
»Doch«, sagte Fräulein Trübner leise. »Ich habe mir folgendes gedacht!«
Karsten entfernte sich vorsichtig von dem eisernen Portal und ging über die Straße. Seine zwei Freunde blieben stehen und blickten ihn erwartungsvoll an.
»Es hat keinen Sinn«, brummte Karsten. »Man versteht kein Wort.«
»Ich gratuliere«, sagte Philipp Achtel. »Dazu bleibst du Rindvieh eine Viertelstunde dort drüben stehen? Nur um uns dann mitzuteilen, du hättest nichts gehört?«
»Ich dachte, der Wind würde umschlagen«, erklärte Karsten gekränkt.
Philipp Achtel lachte abfällig.
Storm ergriff das Wort. »Einmal wird sich ja wohl das taufrische Geschöpf von meinem Tiroler verabschieden. Kurz darauf werde ich ihm zufällig begegnen. Dann geh ich mit ihm ins ›Vierblättrige Hufeisen‹. Und dann wollen wir sehen, wer mehr Aquavit verträgt!«
»Aquavit ist eine gute Idee«, sagte Philipp Achtel. »Dort an der Ecke ist eine Kneipe. Wollen wir so
Weitere Kostenlose Bücher