Kastner, Erich
Storm war andächtig in irgendeinen Anblick versunken.
Schopenhauer hat bekanntlich die wunschlose Betrachtung von Kunstwerken, auch Kontemplation genannt, als eine der beachtlichsten Leistungen hingestellt. Der Wille und die Besitzgier schweigen.
Dem Nirwana nahe, bleibt der wesentliche Mensch übrig. Schopenhauer war ein Menschenkenner. – Soviel über Herrn Storm.
»Glück muß man haben!« rief Oskar Külz und klopfte dem andern auf die Schulter.
Aus begierdeloser Anschauung herausgerissen, sah Storm auf. Er lächelte verwirrt und stammelte: »Nein, so ein Zufall, Herr… Wie war doch gleich der werte Name?«
»Der werte Name war Külz«, erklärte der andere vergnügt. »Ich mopse mich schrecklich, lieber Herr Storm. Mein ganzes Leben lang habe ich es mir gewünscht, einmal ein paar Tage allein zu sein! Und nun ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen. Ich kann Ihnen nur sagen: Einfach gräßlich!«
»Das ist Übungssache«, meinte Storm. »Mir fällt das Alleinsein nicht schwer.«
»Waren Sie manchmal lange allein?«
Der kleine Herr schlug die Augen nieder. Derartig anzügliche Fragen waren ihm zuwider. Vor allem von Leuten, die sich dumm stellten. Er überhörte also die Bemerkung und kam auf die Kunst zu sprechen.
»Ich verstehe nichts davon«, sagte Külz.
»Mir geht es nicht anders«, entgegnete Storm. »Ich habe aber eine unglückliche Liebe für solche Dinge. Wenn ich in Kopenhagen bin, bummle ich regelmäßig einmal durch diese Straße. Und da ich voraussichtlich morgen nach Berlin reise, bin ich heute hier.«
»Sie fahren morgen nach Berlin?«
»Wenn nichts dazwischenkommt, ja.«
»Großartig! Ich auch! Dritter Klasse?«
»Freilich. Da können wir einander Gesellschaft leisten.«
Herr Külz war glücklich. Sie schritten fürbaß und plauderten. Vor dem nächsten Schaufenster machte Herr Storm halt. »Sehen Sie nur!« flüsterte er. »Dieser heilige Sebastian! 13. Jahrhundert. Kölner Schule.«
»Das reinste Scheibenschießen«, meinte Külz.
»Und diese Miniatur! Delikat, nicht?«
»Aha«, sagte Külz. »Das also ist eine Miniatur! So sehen die Dinger aus!«
Der andere wäre beinahe kopfüber ins Fenster gefallen.
»So’n kleines Bild!« stellte Külz fest. »Das ist doch höchstens Visitformat. Was kann das denn kosten?«
»Ich verstehe, wie gesagt, nicht viel davon«, antwortete der kleine Herr. »Aber fünfhundert Kronen wird man schon anlegen müssen.«
Külz musterte die Miniatur geringschätzig. »Es gibt aber auch viel teuere, nicht?« – »O ja«, sagte Storm und wurde blaß.
Fräulein Irene Trübner ging zur selben Zeit durch die Innenstadt.
Sie suchte ein Schuhgeschäft, in dessen Auslagen ihr vor Tagen ein Paar Sandaletten aufgefallen war. Heute wollte sie nun die Schuhe kaufen. Vorausgesetzt, daß man ihre Schuhgröße vorrätig hätte. Sie hatte nämlich Größe 35, und es gibt, von wirklichen Übeln abgesehen, keinen größeren Kummer, als eine so winzige Schuhnummer zu haben. Welche hübschen Schuhe man auch haben möchte – und welche möchte man nicht haben –, in Größe 3 5 sind sie nie vorhanden! In einigem Abstand folgten ihr zwei Herren. »Man sollte das Herzchen anquatschen«, meinte der eine, ein gewisser Herr Achtel.
»Wer weiß, wozu es gut ist.«
»Na schön«, sagte Karsten. »Hau sie an!«
Philipp Achtel zögerte. »Meine Nase eignet sich nicht zum Flirten. Sie widerspricht dem Goldenen Schnitt. Sei so gut und erledige das kleine Geschäft!«
»Sei’s drum!« erwiderte Karsten und zupfte an der Krawatte.
»Und du?«
»Ich folge euch wie ein Schatten.«
»Aber geh nicht saufen«, erwiderte Karsten. »Sonst drückt dir der Chef den Hut ein.« Dann brachte er sich in eine schnellere Gangart und schloß zu Fräulein Trübner auf. Er war nur noch wenige Schritte hinter ihr.
Da wurde er von einem großen schlanken Herrn überholt!
Dieser Herr tippte der jungen Dame auf die Schulter und rief erstaunt: »Hallo, Irene! Wie kommst denn du nach Kopenhagen?«
Irene Trübner zuckte zusammen und drehte sich um.
4. KAPITEL
DAS SYMPOSION IM »VIERBLÄTTRIGEN HUFEISEN«
Karsten zog sich, seiner Aufgabe als Schwerenöter ledig, zurück.
Philipp Achtel grinste boshaft und sagte: »Armer Kleiner! Du hast kein Glück bei Frauen!«
»Quatsch keine Opern!« knurrte Karsten. »Der Kerl kennt sie. Er rief sie bei ihrem Vornamen.«
»Die Hilfstruppen, die der alte Steinhövel seiner Privatsekretärin schickt, gehen mir nachgerade auf die Nerven«, gestand
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