Kastner, Erich
der Verkäuferin entgegen und sagte: »Dazu eine Sechspfennigmarke. Oder kostet es nach Deutschland mehr?«
Die Verkäuferin hing an seinen Lippen.
»Eine Sechspfennigmarke«, knurrte er. »Ein bißchen dalli!«
Da meinte neben ihm ein kleiner Herr, der sich durch viel zu hoch gelegene Ohren auszeichnete: »Sechspfennigmarken werden Sie hier kaum bekommen. Sie würden Ihnen auch nicht viel nützen.«
»Dann muß sie mir eben eine Zwölf-oder Fünfzehnpfennigmarke geben!«
Der kleine Herr schüttelte den Kopf. »Die gibt’s hier auch nicht.«
»Das ist mir unverständlich. Wer Postkarten verkauft, hat auch Briefmarken zu haben.«
Der kleine Herr lächelte, und dabei rutschten seine Ohren noch höher. »Marken gibt’s hier schon«, sagte er. »Aber keine deutschen.
– Vielleicht versuchen Sie’s mal mit dänischen?«
2. KAPITEL
IRENE TRÜBNER HAT ANGST
Der kleine Herr war sehr hilfsbereit gewesen. Guten Menschen bereitet es ja immer Vergnügen, anderen zu helfen. Sie sind Epikureer und befriedigen, indem sie Gutes tun, ihre moralische Wie dem auch sei – Fleischermeister Külz hatte die angemessen frankierte prächtige Hafenansicht in der Hand und unterhielt sich mit dem kleinen Herrn. Sie sprachen schon seit fünf Minuten miteinander. Es geht nichts über die Sympathie zwischen reifen Männern.
Schließlich zeigte Külz dem fremden Herrn seine Brieftasche und ließ sich über die Kaufkraft der dänischen Banknoten, besonders im Vergleich zum deutschen Geld, ausführlich unterrichten. Der kleine Herr hätte fast vergessen, die Brieftasche zurückzugeben.
Darüber mußten beide Männer herzlich lachen.
»Nun muß ich aber wieder an meinen Tisch«, meinte der Berliner.
»Mein Name ist Külz. Es hat mich sehr gefreut.«
»Ganz meinerseits«, erwiderte der kleine Herr. »Ich heiße Storm.«
Sie schüttelten einander die Hand.
Im selben Augenblick fuhr vorm Hotel ein Zeitungsbote vor, sprang vom Rad und rannte mit einem Packen Zeitungen durchs Portal in die Halle. Das Fräulein im Kiosk blickte auf die Schlagzeilen und bekam auf den Backen runde rote Flecken. Der Bote lief rasch zu seinem Rad zurück und fuhr hastig weiter. Auf der Straße blieben die Passanten stehen und blickten gemeinsam in die neuen Blätter.
Die Gäste in der Halle spürten, daß etwas los war. Sie drängten zum Kiosk und kauften Zeitungen. Sie lasen die Nachrichten und redeten in sämtlichen Weltsprachen durcheinander.
»Es ist wie beim Turmbau zu Babel«, stellte Külz fest. »Ich bin eigentlich gar nicht böse darüber, daß ich kein Wort von diesem Spektakel verstehe.«
Der kleine Herr nickte höflich. »Zweifellos. Unkenntnis ist eine Gabe Gottes. Wer viel weiß, hat viel Ärger.« Er kaufte eine Zeitung und überflog die erste Seite.
»Nun werde ich doch neugierig«, sagte Külz. »Was ist denn geschehen? Gibt’s Krieg?«
»Nein«, meinte Storm. »Es sind Kunstgegenstände verschwunden. Im Werte von einer Million Kronen.«
»Aha«, sagte Külz. »Na, dann will ich mal meine Ansichtskarte schreiben.« Er gab Herrn Storm freundlich die Hand und ging.
Der kleine Herr blickte ihm verdutzt nach. Dann trat er vors Portal und setzte sich zu Herrn Philipp Achtel. Auch dieser las das eben erschienene Blatt. Er studierte die erste Seite aufs genaueste. Dann sagte er: »Was es so alles gibt!«
»Von den Tätern fehlt vorläufig jede Spur«, meinte Herr Storm.
»Hoffentlich erwischt man sie bald.«
»Bevor sie noch mehr mausen.«
»Eben.«
Sie lächelten dezent und schwiegen eine Weile. Dann fragte Herr Achtel: »Und was ist mit dem Tiroler?«
Storm blinzelte unwirsch zu Külz hinüber, der den Rücken beugte und seine Karte schrieb. »Erst dachte ich, der Mann sei dumm. Aber ich glaub’s nicht mehr. So dumm kann man ja gar nicht sein! Er verstellt sich. Ich finde es übrigens ausgesprochen plump, sich derartig dämlich zu stellen.«
»Nicht die schlechteste Taktik! Und was meint der Chef?«
»Ich soll ihm folgen. Und dir schickt er den Karsten!« Storm wies mit dem Kopf zu Külz hin. »Er fragte mich, was in der Zeitung stünde. Ich sagte es ihm. Er antwortete: ›Aha! Na, da will ich mal meine Ansichtskarte schreiben‹. Merkwürdig, was?«
»Ein gefährlicher Großvater«, entgegnete Herr Achtel. »Die Harmlosen sind die schlimmsten.«
Oskar Külz schob die Ansichtskarte beiseite, steckte den Bleistift ins Notizbuch zurück und atmete erleichtert auf. Dann wandte er sich dem Fräulein zu. »Würden Sie sich
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