Katakomben (Van den Berg) (German Edition)
und doch ein wenig abgekühlt betrachtete er die kleinen Glassplitter, die sich größtenteils um den Abfluss versammelten.
Beinahe zwei Jahre waren sie ein Paar gewesen. Länger als mit Marie hatte er es nie mit einer Frau ausgehalten und das, obwohl er schon 45 war. Er wusste im Grunde, dass er eigentlich zu keiner Beziehung fähig war.
Van den Berg schaute angriffslustig in den Spiegel und fuhr mit seinen kräftigen Händen durch sein dichtes mittellanges blondes Haar, dann über seine Bartstoppeln. Hatte er zugenommen? Wenn, dann nur ein wenig. Sein Sixpack war, zumindest ansatzweise, noch vorhanden.
Die Kathedrale St. Michel war in ein mattes Licht getaucht. Nichts deutete darauf hin, dass irgendwas anders war, als an jedem anderen Tag. Der kleine, mit dünnen Bäumen bepflanzte Park, der vor der Kirche lag, war beinahe menschenleer. Nur ein Clochard hielt sich in der Nähe des Gotteshauses auf, drei Stunden hatte er auf einer Bank gelegen. Es war der 25. November, der erste Advent kündigte sich an. Seit Tagen regnete es in der Stadt, die Temperaturen hatten stark angezogen.
Der Stadtstreicher hatte vor einer Weile damit begonnen, eine Flasche mit billigem Wodka zu leeren und war dabei eingeschlafen. Der Nieselregen wurde jetzt stärker. Der Alte hatte sich in eine dicke zu große Tarnjacke gewickelt, wie man sie beim Militär hat, dazu trug er eine schmutzige lilafarbene Hose, die grotesk aussah. Die dünne Decke, die er bis ins Gesicht gezogen hatte, war längst zu einem kalten nassen Lappen geworden. Plötzlich drang ein Knall durch die ruhige Nacht, so, als hätte jemand eine Autotüre zugeschlagen, aber es klang heftiger. Es war ein blechernes Geräusch, auf das sich der Penner keinen Reim machen konnte. Er hörte, wie ein Wagen beschleunigte. Das war kein gängiger Benzinmotor, eher schon ein Diesel. Der Alte wunderte sich über den Lärm, denn er wusste, dass der Bereich vor der Kirche für Autos gesperrt war. Dann wurde es still. Mit seiner zittrigen Hand riss der Obdachlose den wasserdurchtränkten Fetzen beiseite, stand auf und taumelte ein paar Meter durch den Regen.
Es dauerte eine Weile, bis er es schaffte, sich zu orientieren. Der Mann hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten, stolperte mehr in Richtung der Kirchentreppen, als dass er lief. Es ärgerte ihn, dass die Beine nicht gehorchen wollten. Nun stand er vor den schmalen Stufen, die ihm unendlich vorkamen. Er hatte noch immer Probleme, die Balance zu halten, immer wieder kippte er nach vorn. Sein Magen fing an zu rebellieren. Der Mann stützte sich mit seinen erfrorenen Händen auf einer Stufe ab, dann kotzte er den Wodka und das bisschen Linsensuppe auf seine rissigen Hände, die von der Kälte bläulich schimmerten.
Der Clochard war zäh, und an den Gestank von Erbrochenem hatte er sich in den Jahren auf der Straße gewöhnt. Langsam aber zielstrebig tapste er die Stufen hinauf. Auf der Hälfte verließen ihn die Kräfte, die Knie zitterten auf dem kalten Stein. Dieses Scheiß Rheuma, dachte er. Er richtete seinen Blick nach oben und sah durch die Bindfäden, dass etwas vor dem Eingang der Kirche lag. Was es war, blieb ihm verborgen - seine müden Augen kämpften mühsam gegen das künstliche Licht und die feinen Tropfen. Der Mann holte tief Luft und schaffte es auf allen Vieren bis an die Pforte. Mit dem Ärmel wischte er sich das Nass aus den brennenden Augen und blickte auf ein Mädchen, das hilflos auf dem Rücken lag. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Miene ein einziger Hilfeschrei.
Der Clochard erhob sich, während er das Mädchen fixierte. „Was ist mit ihnen?“, lallte er. Keine Reaktion. Der Alte schüttelte sich, in der Hoffnung so seine betäubten Sinne schärfen zu können. Er legte seine kräftigen Arme um den Körper der jungen Frau und rüttelte sie so heftig er konnte. Der Vagabund war auf einmal wieder ganz klar. Sein Magen zog sich zusammen, als er begriff, dass das Mädchen tot war.
Das blasse, ungeschminkte Gesicht der jungen Frau war zu einer schiefen Grimasse verzerrt, aber der Clochard sah, dass sie unglaublich schön war. Er fixierte ihre braunen sanften Augen und die makellose weiche Haut. Er schätzte sie auf achtzehn oder neunzehn Jahre. Was sie anhatte, erschien ihm merkwürdig, nicht nur weil es viel zu dünn war für die Jahreszeit. Die junge Frau trug einen weißen Umhang, der einem Nachthemd ähnelte, sonst nichts. Ihre dunklen Haare waren streng zu einem Zopf zusammengebunden. Ihm wurde
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