Katerstimmung (German Edition)
sorry, bin gerade mit Dominik/Lisa/Christian/Caty im Kino/im Thermalbad/bei den Eltern/auf dem Küchentisch.» Mein Leben ist momentan so spannend wie die Bekanntgabe von Fußballendergebnissen für Ante Sapina. Das Spektakulärste, das ich in den letzten Jahren erlebt habe, war ein sechsstündiger Stromausfall in der Kölner Südstadt. Im Bilderrahmen auf meinem Schreibtisch, von dem mir früher ein Kuss-am-Strand-Foto mit meiner Exfreundin entgegenlächelte, konzentriert sich mein Seelenzustand nun in der Postkartenaufschrift: «Meine Gesamtsituation ist unrockbar.» Aber das alles werde ich dir Kratzbürste bestimmt nicht erzählen.
«Nix.» Komm, raste aus. Kratz mich, Klaus!
«Nix? Mal angefangen damit, dass du jeden Tag zu spät zur Arbeit kommst.»
«Ich bleib dafür aber auch häufig lä…»
«Und in deinen Beiträgen Insider-Witze für deine Freunde versteckst.»
«Das war ein einziges Mal.»
«Du hast bei einem O-Ton eine Drogenabhängige mit ‹Ingeborg Haschmann› untertitelt!»
«Ach, das fällt doch keinem auf, so kann man doch heißen.»
«In Mexiko?»
«Joa, da sind ja doch einige Deutsch…»
«Du hast Claudia letzte Woche einen Penis auf die Moderationskarte gemalt.»
«Ja gut, das war ein Scherz. Hier, It’s fun! », deute ich auf das bunte Werbebanner des Senders, das hinter Klaus an der Wand hängt. Er dreht sich nicht um.
«Wenn es nach mir ginge, wärst du schon längst wieder raus aus dem Laden hier. Der einzige Grund, warum die dich hier haben wollen, ist dein ominöser Boulevard-Riecher.»
Ha! Mein Ass. Es hat schon wieder gestochen. Es war eigentlich nur ein Scherz, als ich mich vor Jahren beim Express unter dem Namen Karl Säuler als freier Mitarbeiter beworben hatte, da mir die Vorstellung, «Max Plättgen» könnte unter einem Artikel mit dem Titel «Busenklau: Jetzt spricht der reuige Exfreund!», stehen, tendenziell unangenehm war. Aber seither hat nie irgendwer nach Lohnsteuerkarte oder Ausweis gefragt. Inzwischen ist meine Doppelidentität mein größtes Kapital: Karl Säuler arbeitet auf Rechnung und schickt in unregelmäßigen Abständen Artikel an den Express , wo ihn zwar niemand kennt, wo er aber in allen Mail-Verteilern steht und somit immer schon am Vortag die Themen der nächsten Ausgabe erfährt. Und da Yellow Press und Boulevardfernsehen wie Hase und Igel um die Wette laufen, bin ich dann oft Frau Igel, die in der Nacht zuvor mit dem Hasen geschlafen hat, um dessen Laufweg herauszufinden. Ich lächele Kratzklaus an, und vor meinem geistigen Auge kopulieren Märchenfiguren.
«Anyway: Dein Urlaub fällt auf jeden Fall aus. In zwei Wochen kommt der neue Workflow, da wird es hier drunter und drüber gehen.»
Herr Igel kommt aus dem Schrank, erschießt erst den Hasen, dann seine Frau und letztlich sich selbst. Das darf alles nicht wahr sein.
«Max, das ist hier keine Spaßveranstaltung. Nimm das Ganze mal ein bisschen ernst.»
Zack. Torte im Gesicht. Erste Sahne.
Als ich um kurz nach sechs das Gebäude verlasse, habe ich merkwürdigerweise nicht das Gefühl, heute einen enorm wichtigen Beitrag für die Menschheit geleistet zu haben. Dabei werden meine 1:30 über Joe Hammils verzierte und dekorierte Toilettendeckel in Fastfood-Restaurants der Südstaaten bestimmt Quote machen. War immerhin ein Lady-Gaga-Pott dabei, und außerdem läuft heute vor den News diese Sendung, bei der Menschen mit zu viel Zeit andere Menschen mit zu viel Zeit dabei beobachten, wie sie mehrere Monate in einem Container eingesperrt noch viel mehr Zeit totschlagen. Da kann man von den Zuschauern also eine gewisse Themenaffinität erwarten. Zielgruppig.
Doch viel größere Probleme macht es mir, meinen Jungs gleich den Urlaub abzusagen. Und das gerade heute, wo wir uns bei irgendeiner WG-Party, auf der Lenny «zwei echt süße Zahnis» kennt, schon mal einstimmen wollten. Ich hole mein Handy aus der Tasche, doch noch bevor ich mich zum Telefonbuch durchgeklickt habe, poppt ein kleines Fenster auf: Freitag, 18 Uhr, Meeting Agentur. Scheiße. Komplett vergessen. Marty und Glatzen-Yul wollten ja heute noch das neue Briefing rausgeben. Direkt neben mir steigt Nazan Eckes in ihren Ferrari. Wenn ich noch rechtzeitig in die Agentur kommen möchte, wäre genau jetzt ein Stöckelschuhattentat ganz gut. Leider bleibt es aus, und ich renne zur Bahn.
Wenn es nicht gerade das unbeliebteste Wort der Branche wäre, könnte man die Klingel der Werbeagentur blaufrosch als «pfiffig» bezeichnen. Ich
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