Katerstimmung (German Edition)
Eine Biene ruft: Lassen Sie mich durch. Ganz ruhig, Max. Das ist alles nur ein böser Traum.
Demonstrativ gehe ich nach der Konferenz erst einmal nicht in Klaus Thomanns Büro, sondern fahre meinen Rechner hoch. Beim Blick nach draußen stelle ich fest, dass das Wetter sich dem Niveau angepasst hat. Dicke Regentropfen klatschen genüsslich an die Fensterfront. Und das im August. Sind das alles Minitorten? Ich muss hier echt mal raus. Gott sei Dank habe ich in zwei Wochen Urlaub. Schön ein paar Tage last minute mit Lenny und Wilhelm irgendwohin, wo alles anders ist als in der Welt, die mir die Nachrichtenagenturen täglich präsentieren. Klarer Himmel mit Sonne statt Moldova: Floods , türkisfarbenes Meer mit springenden Delphinen am Horizont statt Japan: Whale Killing (Good Pictures!) und leichtbekleidete Bikinimädchen mit Mojito in der Hand statt US: 220-Pound Teen wins Eating Contest . Am Nebentisch höre ich Sabine telefonieren.
«Hey, Marcel, könntest du mir bitte die Leiche aus Hamburg auf den Server legen?»
Wo bin ich hier, und wenn ja, warum? Germany: Phone explodes while Woman talking. CNN, wo bist du, wenn man dich braucht? Am liebsten würde ich mich gerade auch auf den Server legen. Wenn da neben der Leiche aus Hamburg noch Platz ist.
Im Intranet werde ich aufgefordert, an der aktuellen Mitarbeiterbefragung der Sendergruppe teilzunehmen. Super, ich habe gerade Lust auf Fundamentalkritik. Nach 27 Fragen merke ich, dass die mich verarschen wollen.
«Inwieweit stimmen Sie der Aussage zu: Meine Firma und ihre Produkte leisten einen wertvollen kulturellen und sozialen Beitrag zum Wohle der Gesellschaft ?»
Ob so etwas auch bei Mitarbeiterbefragungen in der Waffenindustrie gefragt wird? Wenn hier nicht alle schizophren sind, müsste der Durchschnittswert zumindest in einem ähnlichen Bereich liegen. Aus Protest breche ich die Befragung ab und gehe zu Klaus. Ich bin reif für eine Abreibung. Im Rücken höre ich Sabine.
«Hm, aber dann bräuchte ich auf jeden Fall noch einen Unfall für den Newsblock. Gibt’s da was?»
Ich wäre Sabine so gerne behilflich und träte zusammen mit dem Killerbienenkommando das große Stöckelschuhmassaker los. Den Secureo-Bären hätten wir mit einem gezielten Wurf auf seine Gehirnzelle ausgeknockt; und während die Bienen sich auf die Suche nach Nazan Eckes machten, könnte ich mich auf meinem Rachefeldzug planlos durch die Redaktionen werfen. Die schnellste Biene summte ins Studio und ginge sofort live auf Sendung. In rasender Eile hätten die Bildbastler noch einen Krieg auf Deutschland -Schriftzug in die rechte obere Bildecke geschoben. Spiegel Online titelte: Amoklauf bei Fernsehsender: 12 Schwerverletzte , bild.de wäre wie immer schon einen Schritt weiter: Auch Katja Burkhards Hund unter den Opfern? Mit einem letzten Schuh bewaffnet, stürmte ich Richtung Ausgang, wo die angerückten Spezialeinheiten große Probleme hätten, Günther Jauch und Johannes B. Kerner auseinanderzuhalten, die sich darum prügelten, wer für seinen Jahresrückblick meine Eltern, Nazan Eckes oder Katja Burkhards Hund bekommt. Mit dem letzten übriggebliebenen Stöckelschuh stellte ich mich vor die Menge und beendete meine Mission mit Würde. Krachend schlüge der Schuh in die Torte.
Klaus Thomann ist einer dieser Menschen, bei denen ich nicht verstehe, wieso sie ihre Zeit in diesem Haus verbringen. Er ist definitiv der Falsche fürs Privatfernsehen. Vermutlich würde ich mich sogar mit ihm verstehen, wenn ich ihn nicht ausgerechnet hier kennengelernt hätte, wo er seinen Job ernst nimmt und ich mich fühle, als müsste ich im Kinderhort Sozialstunden absitzen, weil ich gegen das Gesetz der Zielstrebigkeit verstoßen habe.
«Sag mal, was ist eigentlich mit dir los, Max?»
Was mit mir los ist? Mein Leben ist scheiße. Ich bin 28 Jahre alt, habe daher nur noch zwei gute Jahre vor mir, die ich jedoch in einer Redaktion verbringen werde, in der Nachrichten News heißen. Meine Freunde verdienen ihr erstes richtiges Geld, und meine berufliche Zukunft steht auf so sicherem Grund wie die Häuser in der Kölner Innenstadt. Um dennoch ein halbwegs mondänes Großstadtleben zu führen, habe ich zwei Nebenjobs, deswegen aber fast keine Zeit mehr, ein halbwegs mondänes Großstadtleben zu führen. Ich bin seit zwei Jahren Single, und natürlich kollidiert dieser Lebensabschnitt mit einer Phase, in der fast alle meine Freunde in Beziehungen sind und jede «Feiern?»-SMS beantworten mit: «Nee,
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