Katerstimmung (German Edition)
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«Und der Torschütze ist der neue Brasilianer. Gestern Abend im Hotel, da hat er mir noch gesagt: Es heißt nicht Wilhelm, es heißt nicht Willäm, es heißt Wilchelm.»
Es ist kurz vor acht, gleich beginnen die News . Innerlich läuft bei mir da immer noch der Countdown, auch wenn ich jetzt schon lange nicht mehr dabei bin. Die Quoten sind so gut wie noch nie, habe ich gelesen, vor allem seit im Vorprogramm immer ein unverständlich sprechender Werbeexperte unverständlich sprechende Arbeitslose mit vielen Problemen coacht. Ein Glatzkopf mit Brille, der Ratschläge zum Selbstmarketing gibt. Maurice – Der Managermacher .
Marty wollte mir nach Glatzen-Yuls Ausstieg sogar eine Festanstellung geben. Doch als ich hörte, dass Ellringer wegen des Erfolgs der Zylinderkopfschraube Lemonance auch neue Produktnamen für das gesamte Sortiment von Ventilwerkstoffen und Radialwellendichtringen sucht, lehnte ich ab. Zum Abschied bekam ich das blöde Schild mit den zündenden Ideen und einige Kugelschreiber mit pinkfrog -Schriftzug. Nicht trendy, nicht hip.
Ich überlege, kurz zu meinem ehemaligen Arbeitgeber zu zappen. Aber ich habe Angst, diesem blöden Trailer zu begegnen, in dem der Sender als einen seiner Vorzüge auch «News hautnah» nennt und mich in Buñol während der Tomatenattacke zeigt. Da finde ich ja noch den Youtube-Clip besser, wo irgendwer die gleiche Szene in diese Reisewerbung geschnitten hat. Australia – untouched by modern civilisation. Und die Geschichte mit dem von den Toten auferstandenen Opa hat der Sender sogar noch in der Mystery-Show Unglaublich! mit Sonja Zietlow verbraten.
Wie lange es wohl dauert, bis man das alles wieder vergessen hat? Den Doof-Reporter, der in Spanien auf einen Touristenstreich reinfiel und die deutsche Medienlandschaft in Atem hielt? Den meisten war es glücklicherweise so peinlich, dass sie selbst nur in Randnotizen von «offensichtlich fehlerhaften Informationen» sprachen. Aber irgendein Medienmagazin im NDR rollte den Skandal von vorne bis hinten auf. Inklusive Interviews mit Tigermimi, den Frisurenfreds und dem Bär. Der meinte dann auch was von bewusst vorgetäuschten Anreizen, die ihn zu einer Kooperation mit mir zwangen. Die Autogrammkarte. Ich habe alles richtig gemacht.
Vielleicht sollte ich meine Erlebnisse aufschreiben. Jetzt nicht so wie Geli in ihrem Leserbrief in der Eltern : «Mein lieber Herr Gesangsverein! Wenn selbst ich, wo viel mit junge Leuz chillt, die fesche Jugendsprache nicht mehr versteht, dann stelle ich mir schon viele Fragen.» Aber ich könnte ein Buch schreiben. So wie Kaufhauserpresser Dagobert. Nicht, wie ich die Polizei, sondern wie ich die Medien an der Nase herumgeführt habe. Und wenn der Boulevard dann aufschreit, erinnere ich die BILD an ihre Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Kampagne.
Auf jeden Fall würde ich unter falschem Namen schreiben. Am besten ein Name, bei dem die Verkäuferin in der Buchhandlung mindestens fünfmal nach der Schreibung fragen muss. Obwohl, wäre wohl eher kontraproduktiv:
«Mit einem l und zwei p?»
«Ne, drei p.»
«Drei p?»
«Vorne ist ja auch noch eins.»
«Ach so, ja. Aber in der Mitte zwei l?»
«Nein, ein l.»
«Also ein l, zwei p?»
«Drei p.»
«Wollen Sie nicht vielleicht lieber was von Tommy Jaud? Das ist auch einfacher geschrieben.»
Ich schalte den Fernseher aus und gehe zur Wohnungstür. «Me muero por sentir cada día ese flechazo al verte», murmele ich vor mich hin. Habe ich extra auswendig gelernt. Heißt irgendwas Romantisches. So richtig viel Spanisch kann ich immer noch nicht. Aber ich weiß inzwischen, dass Tschiringgito eigentlich Chiringuito geschrieben wird. Vielleicht bringt sie mir ja heute wieder was bei. An unserem angestammten Zweiertisch vor der roten Wand im W84U, der Bar, in der Ana arbeitet, wie sie mir angeblich mehrmals an jenem Abend gesagt hatte. Mit einem Satz bin ich draußen.
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Über Philipp Reinartz
Philipp Reinartz, 1985 in Freiburg geboren, studierte Theater, Film und Fernsehen, Germanistik, Geschichte, Journalismus und Design Thinking in Köln, Saragossa und Potsdam. Macht auch sonst komische Sachen und gründete daher vor kurzem mit Freunden eine Firma für Smartphonespiele. Er hat bislang keinen Bestseller, Sendeplatz oder Grimme-Preis, dafür aber im Urlaub 2003 am Strand von Side Andi Brehme getunnelt.
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Über dieses Buch
Und weg ist das Ziel ...
Max arbeitet bei einem
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